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Heinz Wraneschitz

Zwischenschritt oder Salamitaktik: Neue Infos zur Endlager-Standortauswahl

Thematische Einordnung

Die theoretischen Schritte zum Endlager sind klar. Doch ob und wann es kommt, steht in den Sternen. [Bildquelle: BASE]

Ein Teilnahmebericht von Heinz Wraneschitz

Raus oder nicht raus: Das ist seit Montag die Frage. Und die Menschen in Deutschland können sie sich selbst beantworten. Ach ja, worum es bei diesem Frage-Antwort-Spiel geht? Es geht darum, ob ein mögliches Atommüll-Endlager auf – oder besser unter – dem Boden Ihres Wohnorts entstehen könnte. Oder ob das nicht mehr möglich ist.

Am Montag, dem 4. November 2024, hat die BGE abgekürzte, im niedersächsischen Peine ansässige Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH ihren nagelneuen „Endlagersuche-Navigator“ öffentlich gemacht. Zwar hatten Fachleute wie Laien eigentlich schon im September 2020 darauf gehofft, dass die BGE klar umgrenzte Regionen benennen würde, die geeignet für ein 1.000.000-jähriges, sicheres Einlagern des hierzulande angefallenen hochradioaktiven Atommülls sind. Doch nach der damaligen Veröffentlichung der Bundesgesellschaft waren insgesamt 90 Teilgebiete dafür prädestiniert. Und weil die recht groß sind, galten 54 Prozent der Fläche Deutschlands als potenzielle Endlagerstandorte.

Wie viel ist ein bisschen Ausschluss?
Nun also der erste wirklich erkennbare BGE-Schritt in Richtung Ausweisung Endlager-sicherer, echter Teilgebiete. Wobei auch das nicht ganz stimmt: Die BGE hat sich – ob bewusst oder unbewusst – 13 ihrer zunächst veröffentlichten 90 Teilgebiete herausgegriffen und in den letzten zwei Jahren genauer untersucht. Das Verfahren nennt die BGE im Behördensprech „repräsentative vorläufige Sicherheitsuntersuchung“. In den Unterlagen erscheint dieses Verfahren meist in der Abkürzung „rvSU“. Es ordnet die Flächen der 90 potentiellen Standort-Teilgebiete in vier Kategorien ein: Kategorie A sind bestgeeignete Gebiete; bei B ist „sicherer Einschluss erwartbar“; C bedeutet „gering bis ungeeignet“; die Flächen der Kat. D sind „ungeeignet“.

Der Online-Präsentation am 4. November für die Öffentlichkeit folgten gut 300 Personen per Videokonferenz und nochmal etwa 200 via Youtube. Dabei beschrieb Sönke Reiche, der BGE-„Leiter Standortsuche“ die Ergebnisse dieser ersten rvSU: Weil nur 13 Teilgebiete betrachtet worden sind, gelten aktuell 82 Prozent der potenziellen Endlager-Flächen als „noch nicht eingeordnet. Ansonsten sind 16 Prozent Kategorie D, zwei Prozent Kat. C.“ Heißt: Bis jetzt ist kein einziger Flecken dieses unseres Deutsch-Landes als für „sicheren Einschluss“ oder „bestgeeignet“ kategorisiert.

Nicht nur der Großteil der Regionen fehlt
Das wiederum hängt laut Reiche damit zusammen, dass bei besagten 13 Testgebieten bislang nur die „Prüfschritte 1 und 2 durchgeführt wurden“; selbst hier stünden also noch „Prüfschritt 3, Teilprüfschritt 4a und Teilprüfschritt 4b“ aus; erst dann könnten sicher jene „Kategorie A: Beste Eignung“-Gebiete benannt werden.

Dass sich am Ende gar kein A-Kategorie-geeigneter Endlagerort findet, das erwartet Monika Müller jedenfalls nicht. Die Begründung des Mitglieds des Nationalen Begleitgremiums NBG: „Das sind ja nicht 13 der 90 Teilgebiete, sondern kleinere Gebiete innerhalb von Teilgebieten. Da wird vermutlich viel zu viel übrigbleiben, so dass man die Qual der wissenschaftlichen Wahl haben wird.“

Doch das dauert noch einige Zeit. In der Präsentation hat die BGE den weiteren Zeitplan bis zur endgültigen Standortregion-Auswahl genannt: Ende 2027 sollen jene „A“-Regionen feststehen, die dann zunächst oberirdisch und dann unterirdisch genauer unter die Lupe genommen werden müssen. Wohlgemerkt: bis dahin müssen alle immer noch geltenden 90 Teilregionen bewertet und kategorisiert werden. Und das nicht nur nach den Prüfschritten 1 und zwei, sondern auch die Nummern 3, 4a und 4b müssen abgearbeitet werden. Dabei hat die BGE schon zwei Jahre nur für die Findung der Ausschluss-Gebiete in 13 Regionen gebraucht. Ob in jenen Resten dieser 13 Flächen, im Navigator grau dargestellt, womöglich doch Stellen zu finden sind, die den Kriterien A oder B entsprechen stehen: Selbst diese Untersuchungen stehen noch aus.

Jedenfalls versprach die Iris Graffunder, die Vorsitzende der BGE-Geschäftsführung hoch und heilig, die Öffentlichkeit ab sofort jährlich über den Fortschritt der rvSU-Untersuchungen zu informieren. Ein Zuhörer nannte dieses Vorgehen „Salamitaktik“; andere forderten, doch Zwischenergebnisse sofort zu veröffentlichen. Darauf gab es an dem Tag kein Zugeständnis seitens der BGE. Dagmar Dehmer, für die Öffentlichkeitsarbeit der BGE zuständig, empfahl deshalb: „Mischen Sie sich beim 3. Forum Endlagersuche ein.“ Das kann live in Würzburg oder vom Computer aus geschehen. Und es findet schon übernächste Woche statt: vom 22. bis 23. November. Übrigens: Jedermensch kann daran teilnehmen.

Alleine für die Prüfschritte 1 und 2 müssen 25 rvSU-Kriterien bewertet werden. Diese seien in einem „Kriterienkatalog“ festgeschrieben und ermöglichen so „die systematische Prüfung und Bewertung jedes Gebiets und jedes Wirtgesteins, das spezifische Eigenschaften hat, die berücksichtigt werden müssen“, erläuterte Sönke Reiche. Als konkretes Beispiel nannte er „das rvSU-Kriterium „Mächtigkeit“. Die Mächtigkeit des Wirtsgesteinsbereichs mit Barrierefunktion muss im Tongestein und Steinsalz mindestens 100 Meter betragen. Das Nichterfüllen dieses rvSU-Kriteriums zu Prüfschritt 1 führt zu einer Einstufung in Kategorie D.“ Dafür würden „Mächtigkeitskarten, geologische Karten, geologische 3D-Strukturmodellen, Bohrungsdaten“ genutzt.

Böhrlöcher von Ölbohrungen
Gerade diese Bohrdaten-Angabe führte zu Nachfragen in der Live-Veranstaltung. Denn die von Reiche genannten vorhandenen 50.000 Bohrlöcher, die mindestens 300 Meter in die Tiefe gehen, wurden ja großteils nicht zum Erkunden von Endlagergestein erstellt. Doch nicht nur solche Details wurden nachgefragt, sondern auch ganz pauschal: viel interessanter war folgende Nachfrage: „Und Sie bestätigen den Termin 2027 wirklich?“ Antwort von BGE-Fachfrau Lisa Seidel: „Den werden wir unbedingt einhalten. Ja.“

Lob bekam die BGE übrigens auch – und das von womöglich unerwarteter Seite. Andreas Fox, alteingesessener Atomkraft-Kritiker nannte es „sehr schön, dass der BGE-Projektkoordinator Kevin Henning im Interview auf der BGE-Seite hervorhebt, dass das Navigator-Tool auf die Initiative der interessierten Öffentlichkeit in der Fachkonferenz Teilgebiete zurückgeht“.

Empfehlung des Autors
Deshalb die Empfehlung des Autors dieses Beitrags: Melden Sie sich an zum 3. Forum Endlagersuche in Würzburg und gestalten Sie selber mit, was womöglich erst Ihre Urururenkel erleben werden: Die Befüllung des Endlagers mit hochradioaktivem Müll aus deutschen Atommeilern. Und suchen Sie selbst einmal im Navigator nach Ihrem Wohnort. Sie werden erstaunt sein … auch über die vielen interessanten und hintergründigen Detailinfos in Dateiform, welche der Navigator bereithält.

BASE, das Bundesamt, welches die BGE überwacht, arbeitet da anders. Denn wer auf deren „Einstiegswebseite“ den „Link zum Dokumentenverzeichnis Endlagersuche-Infoplattform“ anklickt, erlebt DAS HIER…

Ergänzung der Redaktion vom 26.11.2024: Der Link hinter „DAS HIER“ führte bis vor wenigen Tagen ins Nirwana des www. Nun hat das BASE – womöglich nach Lesen unseres Artikels? – endlich wieder Inhalte damit verknüpft. Danke dafür.