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Jörg Sutter

Wie kommen wir zum bidirektionalen Laden?

Normative Anforderungen beim bidirektionalen Laden mit Wechselstrom. Quelle: Studie Nationale Leitstelle / NOW

Eine Analyse von Jörg Sutter

Entgegen vieler vollmundiger Ankündigungen und auch einem (Bundes-)Förderprogramm im vergangenen Jahr 2023: Wir haben noch ein längeres Wegstück vor uns, bevor Elektroautos hierzulande in größerem Maßstab bidirektional (kurz: BiDi) laden werden. Damit ist gemeint: Strom wird nicht nur in das Elektrofahrzeug eingespeichert und dann verfahren, sondern dass auch die Gegenrichtung funktioniert und Strom aus dem Autoakku wieder entnommen werden kann.

Wo stehen wir heute?

Ankündigungen der Autoindustrie und Feldversuche gibt es schon eine ganze Weile, im Gegensatz zu anderen Ländern aber in recht kleinem Maßstab. Der Volkswagen-Konzern hatte bereits 2021 angekündigt, dass BiDi „bald“ in größerem Maßstab eingesetzt werden würde. Diese Ankündigungen wurden im vergangenen Jahr „aktualisiert“.

Das bidirektionale Laden bietet Perspektiven für die Sektorenkopplung und erste kleine Schritte sind bei uns erledigt. Das wurde auch in einer Studie vom November 2023 bestätigt. Die Autoren stellten fest, dass noch eine Reihe von Hausaufgaben zu erledigen sind: So werden auch bis zum Jahr 2035 nur rund 65% der Elektrofahrzeuge von den Herstellern überhaupt mit dieser Fähigkeit ausgestattet sein. Und in absoluten Zahlen könnte es auch weniger als angenommen werden, wenn sich die aktuelle Flaute beim Verkauf von Elektrofahrzeugen fortsetzt. Fehlende regulatorische Klarstellungen und Standards bzw. Schnittstellen sind weitere Probleme.

Wie kommen wir voran?

Eine brandaktuelle Studie hat der „Beirat der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur zur Umsetzung der Maßnahme 47 des Masterplans Ladeinfrastruktur II“ gerade herausgegeben. Sie ist eine Handlungsempfehlung mit dem Augenmerk auf die BiDi-Entwicklung. Darin wurde herausgearbeitet, was für die Durchsetzung dieser Technik notwendig ist. Die Autoren betonen, dass die „Vehicle-to-Grid“-Anwendung (kurz V2G), also das Rückspeisen von Autostrom in das öffentliche Stromnetz, erst in einigen Jahren zum Einsatz kommen werde. Hier seien regulatorisch noch ganz dicke Bretter zu bohren. Zuvor werde es nur bedingte V2H-Lösungen geben, bei denen der Batteriestrom durch eine spezielle Wallbox zurück in den Haushalt fließen kann. Doch auch bei dieser Nutzung wird erwartet, dass in den kommenden Jahren zuerst einmal eigene Herstellerlösungen auf den Markt kommen, die nicht miteinander kombinierbar sind. Erst ab 2027/2028 wird mit dem Markthochlauf von Angeboten gerechnet, die frei kombinierbar sind. Dann könnte jede beliebige BiDi-Wallbox mit jedem beliebigen Elektroauto und einem Energiemanagement eines Drittanbieters gemeinsam eingesetzt werden. Davon sind wir aktuell noch weit entfernt.

Wo sind die „offenen Baustellen“, was muss genau getan werden?

Zentraler Punkt, der auch in der aktuellen Studie angesprochen wird, ist natürlich die Verfügbarkeit der Systeme, also sowohl Fahrzeuge, Wallboxen und der Regelelektronik dafür. Während im Fahrzeugbereich schon einige Elektroautos am Markt zumindest vorgerüstet sind oder Stromentnahme zur Versorgung von einzelnen Stromverbrauchern bereits zulassen, gibt es derzeit nur vereinzelt Wallboxen dafür. Für das Förderprogramm des Verkehrsministeriums im letzten Jahr (der 2. Teil, der in diesem Jahr kommen sollte, wurde ja gestrichen) standen gerade einmal drei bidirektionale Wallboxen auf der Liste der förderfähigen Geräte.

Bei der konkreten Einschätzung gehen die Ansichten auch im Beirat der „Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur zur Umsetzung der Maßnahme 47 des Masterplans Ladeinfrastruktur II“ (dem Ersteller der Studie) teils auseinander: Während die Energiewirtschaft im Beirat einen notwendigen stärkeren Netzausbau wegen des bidirektionalen Ladens befürchtet, betont die Automobilwirtschaft, dass mit attraktiven Nutzungsangeboten und digitalisierten Stromnetzen die Netzbelastung sinken müsste, weil in den privaten Haushalten dann noch stärker die Eigenversorgung optimiert werden wird.

Die aktuellen Hemmnisse

Die Studie listet die aktuellen Problembereiche auf: Neben der Verfügbarkeit von Fahrzeugen und bidi-Wallboxen sind das die hohen Kosten, das Fehlen einheitlicher Schnittstellen für herstellerübergreifende Lösungen, die Einschränkungen der Batteriehersteller (Begrenzung der Nutzung wegen Batteriegarantie), Fragen zu Datenschutz und Vertrauen, rechtliche Eigentumsklarheit und steuerliche Behandlung von Ladung, Stromtransport im Auto und der Rückspeisung.

Und nicht zuletzt führen die Autoren die Gesamtkomplexität als potenziell abschreckend für Interessenten an. Daran sind auch einmal mehr die Anforderungen des Datenschutzes nicht unschuldig.

Spannend: In der Studie wird auch das Hemmnis „Zusatzkosten für die Nutzung der Funktionalität“ aufgeführt. Das könnte darauf hindeuten, dass die Autohersteller versuchen werden, die Bidirektionalität mit einem Abomodell oder ähnlichem für Nutzer kostenpflichtig anzubieten. 

Und wie komplex sich allein die Frage darstellt, welche normativen Vorgaben einzuhalten sind, zeigt die Darstellung aus der Studie für das bidirektionale Wechselstrom-Laden im Titelbild dieses Beitrags.