Newsletter
Götz Warnke

Wasserstoff bleibt weiter „wolkig“

Unterirdischer Gasspeicher Harsefeld: Anlagen zum Ein- und Ausspeichern von Gas; Foto: Götz Warnke

Ein Rundblick von Götz Warnke

Kommt es jetzt endlich, das Wasserstoffzeitalter, von dem manche träumen? Geht es jetzt endlich los mit der lange angekündigten grünen Wasserstoff-Wirtschaft? Immerhin hat die Bundesregierung in den letzten Monaten ihre „Hausarbeiten“ gemacht: Im Juli ist das geplante Wasserstoff-Kernnetz auf den Weg gebracht worden; es soll bis 2032 fertig sein, und wird wohl mindestens 20 Milliarden Euro kosten. Zwar hat diese von den Gasfernnetz-Betreibern geplante Struktur z.B. in Baden-Württemberg, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern noch Lücken, aber das Grundgerüst steht.
Ebenfalls auf den Weg gebracht hat das Bundeskabinett per Beschluss die Wasserstoff-Importstrategie. Seit Jahren ist klar, dass sich längst nicht alle Wasserstoff-Bedarfe und -Wünsche im Inland produzieren lassen, sondern dass das Gas zum größeren Teil importiert werden muss – wohl zu 70 Prozent. Natürlich gibt es weiterhin die notorischen Kritiker, denen der „Wasserstoff-Zug“ nicht schnell, groß und finanziert genug ist. Aber teure Projekte der Industrie wie z.B. der Bau von Großelektrolyseuren sprechen da eine andere Sprache.

So jedenfalls sieht die eine, die hoffnungsvolle Seite der Medaille aus.

Die andere Seite der Medaille besteht aus einer Vielzahl von gescheiterten Projekten und grundloser Träumereien. Neben so manchen Wasserstoff-Bahnzügen ist hier natürlich das Ende vergangenen Jahres gescheiterte, integrierte Projekt „H2 Westküste“ in Heide (Schleswig-Holstein) zu nennen, das schlicht zu teuer wurde. Auch die vielfältigen HRS-Projekte (Hydrogen Refueling Station = Wasserstoff-Tankstelle) scheitern, da die EU sie aus der vorrangigen Wasserstoff-Förderung (IPCEI für Wasserstoff) herausgenommen hat, und sich die Projekte nicht selbst finanzieren können. Ein Grund für diese widersprüchliche, „wolkige“ Situation sind die unterschiedlichen Einsatzoptionen des Wasserstoffs:
1. H2 ist ein chemischer Grundstoff, der u.a. von der Bau-, Chemie- und Stahlindustrie dringend zur Dekarbonisierung benötigt wird; hier ist Wasserstoff quasi alternativlos.
2. H2 ist ein Energiespeicher; hier ist er zwar längst nicht so alternativlos, wird aber einen gewissen Anteil am Speichermarkt erzielen.
3. H2 ist ein Treibstoff; hier wird immer deutlicher, dass er für die meisten terrestrischen Anwendungen (Bahn, LKW) nicht benötigt wird, und allenfalls in Spezialbereichen sowie in der Luft- und Schifffahrt Anwendung finden kann.
4. H2 ist ein Brennstoff, z.B. für heimische Gasheizungen. Hier ist Wasserstoff mehr als überflüssig, zum einen, weil es bessere und zukunftssicherere Alternativen gibt (Wärmepumpe), zum anderen, weil ein Rechtsgutachten von Germanzero und anderen Umweltverbänden die Möglichkeit der Aufnahme von Wasserstoffheizungen in die kommunalen Wärmepläne verneint.

Ein Grund für die heute herrschende Unsicherheit ist das Herummerkeln der jetzigen Vorgängerregierungen, die sich nie eindeutig hinsichtlich grünem und/oder blauem Wasserstoff positioniert haben, die keine Priorisierung der Wasserstoff-Nutzung vorgegeben noch die Öffentlichkeit über die realistisch produzierbaren Wasserstoffmengen in Kenntnis gesetzt haben.

Auf diese Unsicherheit trifft man immer wieder. Ein gutes Beispiel dafür ist eine eintägige Pressereise, die die wasserstoffaffine Clusteragentur Erneuerbare Energien Hamburg (EEHH) im Frühsommer organisiert hatte. Erste Station war der traditionsreiche, international tätige Hamburger Gabelstapler-Hersteller Still. Neben den Gabelstapler-Antrieben mit Blei-Gel-Akkus (Hauptanteil), Lithium-Ionen-Akkus (20-40%) und Verbrennern ( > 10%) hat man jetzt auch H2-Brennstoffzellen-Antriebe mit 24 Volt ins Programm genommen. Das Brennstoffzellen-System wird eigenständig auf dem Firmengelände in einer Fließfertigung gebaut und in einem selbst entwickelten Prüfstand auf Drucksicherheit und Qualität getestet. Die ersten Systeme sind im Kundeneinsatz, die Produktion eines 48-Volt-System ist in Vorbereitung. Das Besondere: Das H2-Brennstoffzellen-System ist ein Modul, das auch in die Batteriewechsel-Einschübe der Blei-Gel-Stapler passt. Und so könnten künftig auch günstige Natrium-Ionen-Akkus die teuren Brennstoffzellen-Systeme ganz einfach ersetzen – immerhin kosten diese das anderthalbfache der nicht billigen Lithium-Ionen-Systeme. Doch Still gibt sich überzeugt vom Thema Wasserstoff, und führt folgende Optionen und Vorteile für Kunden an: Nur 90-180 Sekunden sind für das Tanken notwendig. Es gibt keine Speicher-Degeneration. Der Flächenverbrauch ist im Gegensatz zu Wechselakku-Systemen gering. Der Wunsch der Kunden nach CO2-Freiheit ist groß. Sobald das H2-Kernnetz existiert, werden sich viel große Betriebe an ein Netz mit grünem Wasserstoff anschließen. In der Industrie mit hohen Eh-da-Verbräuchen an Wasserstoff fällt die Betankung von „Flurförderfahrzeugen“ (Gabelstaplern) gar nicht ins Gewicht; ab einem Tagesverbrauch von 30 Kilo Wasserstoff rechnet es sich.

Auch wenn man manche der erstgenannten Argumente durchaus relativieren kann, so ist doch der Kosten-Aspekt zumindest für die Wasserstoff verbrauchende und ihn selbst erzeugende Industrie relevant. Ob sich allerdings künftig genügend interessierte Firmen finden, so dass sich eine die Produktionskosten senkende Großserienfertigung lohnt, steht noch in den Sternen.

Nächster Reisepunkt ist die Hamburger „Behörde für Wirtschaft und Innovation“ und ihre Stabsstelle Wasserstoffwirtschaft. Diese trommeln seit Jahren fleißig für die Wasserstoff-Wirtschaft, denn Hamburg möchte, jenseits aller damit verbundenen (Explosions-) Gefahren, Drehkreuz für Wasserstoffimporte nach Deutschland und Europa werden. Das hat mehrere Gründe: Der Hamburger Hafen ist das größte Industriegebiet Europas und muss schnellstmöglich dekarbonisiert werden; und gibt es hier große Industrieunternehmen wie den Stahlhersteller ArcelorMittal, die ohne große Mengen an Wasserstoff gar nicht dekarbonisiert werden können. Andererseits wird der 108 km von der Nordsee entfernt liegende Hamburger Hafen zunehmend von der seenahen Konkurrenz wie Rotterdam oder Antwerpen abgehängt; da käme es den politisch Verantwortlichen der Hansestadt schon zu pass, wenn große Tanker ihren in Ammoniak oder Methanol gebundenen Wasserstoff zum Drehkreuz Hamburg transportieren würden – die Konkurrenz schläft ja nicht. Daher sucht die Politik Kooperationen mit möglichen H2-Lieferanten in aller Welt, und unterschreibt entsprechende Absichtserklärungen. Wie wolkig wohl vieles noch ist, zeigt sich auch an der im Nachhinein geltend gemachten Forderung der Hamburger Wirtschaftsbehörde an die Journalisten, sie möchten doch ihre Beiträge bezüglich des Besuchs der Behörde zur Freigabe vorlegen – ein Unding!

Zum dritten und letzten Ort der Reise geht es heraus aus Hamburg zum Unterirdischen Gasspeicher (UGS) Harsefeld. Dies ist einer von mehreren deutschen Speichern, wo die nationale Gasreserve seit 1973 in riesigen unterirdischen, künstlich geschaffenen Salzkavernen gelagert wird. Künftig sollen hier zwei neue Kavernen für die Druck-Speicherung von Wasserstoff entstehen: in 1.100 bis 1.700 Metern Tiefe, mit 40-60 m Durchmesser und einer Höhe von 300 m. Die Aushöhlung („Soldauer“) mittels Wasser in einem geschlossenen Kreislauf dauert pro Kaverne 3-5 Jahre. Anschließend kann eine solche, mit Wasserstoff gefüllte Kaverne gerade einmal 0,2 Terrawattstunden (TWh) H2 liefern – nach den aktuellen Planungen soll der Wasserstoff-Bedarf schon 2030 zumindest 95 TWh betragen, von dem ein erheblicher Teil gespeichert werden muss. Wie das alles reibungslos funktionieren soll – unklar. Ebenso unklar ist, wie hoch die Gasverluste (Schlupf) im Speicher sein werden, obwohl das Physik und das Wissen darum relevant für die Effizienz der Speicherung ist. Die entsprechende Frage dazu wurde jedenfalls nicht beantwortet.

Fazit
Auch wenn beim Thema Wasserstoff viele Dinge bereits in Angriff genommen sind, so bleibt undurchsichtig, wie in den nächsten 5-20 Jahren die benötigten riesigen Mengen an Wasserstoff CO2-frei hergestellt, transportiert und gespeichert werden sollen. Hierbei handelt es sich um ein Super-Großprojekt, und wenn man sich Umsetzungszeiten bei deutschen Großprojekten wie BER, Elbphilharmonie, Stuttgart21 oder das Atomendlager ansieht, dann ahnt man: es wird bestenfalls sehr viel länger brauchen – eine Zeitspanne, die wir nicht mehr haben.
Eines kann man allerdings schon sicher sagen: eine umfassende Wasserstoff-Wirtschaft mit H2-Heizungen, -Autos, -Motorrollern und -Bahnen etc., die sich einige Wirtschaftsführer zwecks Profits gewünscht haben, wird es aus den oben genannten Gründen wohl nicht geben.