Thematische Einordnung

Ein Bericht von Götz Warnke
Beim ersten Teil dieses Themas haben wir über die Bedeutung der Wasserkraft und ihre Potentiale gesprochen, auf die bisher hierbei nicht „eingepreisten“ Meeresenergien verwiesen, und einige davon auf ihr Potential für einen Beitrag zur Energieversorgung Deutschlands betrachtet: Meereswärmekraftwerke, Meeresströmungskraftwerke und Osmosekraftwerke. Während die ersten beiden Kraftwerkstypen in deutschen Hoheitsgewässern gar nicht umsetzbar sind, ist von vereinzelt möglichen Osmosekraftwerken an deutschen Küsten allenfalls ein geringer Beitrag zu erwarten.
War es das also mit der technischen Nutzung der Meeresenergien? Zum Glück gibt es noch zwei weitere Energieoptionen.
Wellenenergie: Mit ihrer Nutzung beschäftigt man sich auch in Deutschland schon über 100 Jahre. Das betrifft hauptsächlich die Energieversorgung von beweglichen schwimmenden Objekten wie Leuchttonnen oder Schiffen. Dass große Frachter im Jahr 2025 u.U. schadstofffrei mit einem „Drei-Wetter-Antrieb“, gespeist Energie von Sonne-, Wind- und Wellen-Energie über die Weltmeere fahren, wie Manuel Nitsche am 28.09.2005 in der Berliner Zeitung schrieb, dürfte sich zwar als etwas voreilig erweisen, doch die hierzu Forschenden reichen von Schülergruppen bei „Jugend forscht“ bis zu renommierten Reedereien. Allen voran natürlich die großen Forschungsinstitutionen rund um den Globus, u.a. das US-amerikanische Pacific Marine Energy Center, das PacWave der Oregon State University, die Ocean Energy Association Japan (OEAJ), das IFREMER Centre Bretagne, das Dutch Marine Energy Centre (DMEC) und last, but not least das European Marine Energy Centre (EMEC) auf den Orkney-Inseln. Diese Forschungszentren beschäftigen sich allerdings primär mit in Stromnetze eingebundene Wellenenergie-Konverter, weniger mit Insellösungen. Einige solcher Konverter werden bereits einer praktischen Erprobung unterzogen. Die Herausforderungen sind überall die höchst unterschiedlichen Wellenstärken: einerseits sollen die Anlagen bereits bei schwachem Seegang Strom liefern, andererseits müssen sie auch schwersten Wellengang schadlos überstehen.
In der Tat sind schon mehrere große Wellenenergie-Konverter im Testbetrieb – z.B. bei Hawaii, vor Portugal oder zwischen den Orkney-Inseln. Insbesondere die EU hat sich für die Meeresenergie insgesamt große Ziele gesetzt: eine installierte Leistung von mindestens 1 GW bis 2030 und 40 GW bis 2050. Dabei hat die heimische Wellenenergie einige Probleme: Sie ist nicht grundlastfähig. Sie ist im in einer Westwindzone gelegenem Deutschland vorwiegend an der Nordsee ertragreich. Und sie ist dort wegen des flachen, tidengeprägten Küstenvorlandes schwer zu ernten.
Für landseitig installierte Anlagen kommen nur die West- und Nordküste Helgolands sowie die Kaimauern von direkt am Meer liegenden Häfen wie Bremerhaven oder Wilhelmshaven in Frage, wo sich bestimmte Anlagentypen wie Eco Wave Power an Kaimauern installieren ließen. Allerdings besteht hier eine Flächenkonkurrenz zum Containerumschlag. Einfacher ist es, solche Wellenenergieanlagen in den Offshore-Windparks zu installieren. Hier bestehen durch die Gründungen der Windenergieanlagen bereits feste Strukturen, und auch die Stromanbindung an das Festland ist vorhanden. Kein Wunder also, dass es hier bereits erste Tests solcher flexiblen Anlagen gibt.
Gezeitenenergie: Auch wenn heute kaum noch was davon zu sehen ist – die Nutzung der Gezeitenenergie war in Deutschland weit verbreitet. Wie auch in anderen Teilen Europas, z.B. an der Algarve, gab es an den durch die Tide beeinflussten großen Flüssen eine Vielzahl von Gezeitenmühlen, so an der Elbe u.a. in Horneburg oder in Hamburg*. Manche der damaligen Gezeitenmühlen waren Ebbe- oder Flutmühlen, nutzten also nur einen Teil der Tide, was mit den meisten der damals zur Verfügung stehenden Techniken einfacher zu bewerkstelligen war. Dagegen lassen sich die heutigen Turbinen mit ihren verstellbaren Schaufeln gut für beide Richtungen der Tide nutzen. Dass die alten Gezeitenmühlen verschwanden, lag neben der Effektivität auch am Aufkommen der Motormühlen, an Flussbegradigungen, dem vermehrten Deichbau.
Doch auch für „moderne“ Kraftwerke zur Stromerzeugung gab es Pläne**: Der Hamburger Ingenieur Emil Pein baute 1912/13 in Husum als Vorläufer für sein geplantes Großflutkraftwerk ein kleineres Demonstrationswerk, das allerdings wegen des 1. Weltkrieges nicht weiterverfolgt wurde. Um 1930 entwickelte der Oberingenieur Heinrich Büggeln den Vorschlag zu einem Flut-/Gezeitenkraftwerk in der Gemeinde Groden an der Unterelbe bei Cuxhaven. 1950 plante der Cuxhavener Carl Becker zusammen mit dem Bau-Ingenieur Paul Lau, das gesamte Wattenmeer zwischen Cuxhaven und Bremerhaven einzudeichen (Deichlänge: 90 km), um es als Wasserreservoir für ein Gezeitenkraftwerk zu nutzen. 1977 wollte man den ganzen Jadebusen (190 Quadratkilometer Fläche, Tidenhub 3,5 m) als Tidenkraftwerks-Reservoir nutzen, nachdem bereits 1965 die DEGEZBAU Rheinkamp-Repelen der Stadt Wilhelmshaven eine Denkschrift dazu vorgelegt hatte. Im Zeitalter der billigen Kohle- und Erdöl-Energie wurde jedoch keines dieser Projekte verwirklicht. Heute ist ein Großteil dieser Flächen als Naturpark Wattenmeer geschützt. Und es ist letztlich eine politische Entscheidung, ob man für eine in wenigen Jahrzehnten sowieso im Meer versinkenden Natur die deutschen Klimaziele und die Stabilität des Weltklimas opfern will.
Doch während es in Deutschland derzeit keine laufenden Gezeitenkraft-Projekte gibt, treiben die im Wasserbau erfahrenen Niederländer das Thema kräftig voran; so soll z.B. ein „Gezeiten-Drachen“ die westfriesische Insel Ameland mit Strom versorgen. Solche oder ähnliche Drachen wären wohl auch für deutsche Küstengewässer geeignet, z.B. zwischen Sylt und Amrum. Und die Niederländer nutzen ihre zu öffnenden Flutsperrwerke am Ijsselmeer und an der Oosterschelde, um dort nachträglich bewegliche Turbinen einzubauen, die Schiffsverkehr durchlassen können. Für solche hydraulischen Turbinensätze fänden auch an vielen deutschen Standorten Einsatzmöglichkeiten, da es auch hier eine Menge Sperrwerken gibt. Beispielsweise allein in Schleswig-Holstein an den Flüssen Wedeler Au, Pinnau, Stör, Eider, sowie das Sperrwerk an der Dithmarscher Bucht/Meldorfer Hafen. Und auch in Niedersachsen sind einige der Flüsse geeignet. Zudem verfügen alle Sperrwerke bereits über einen elektrischen Anschluss. Je nach der geografischen Situation lassen sich solche potentiellen Kraftwerke zumindest als Ebbekraftwerke fahren, in einigen Fällen vielleicht auch als Tidekraftwerke.
In Zeiten der zunehmenden Klimakrise, des dringenden Bedarfs an erneuerbarer und insbesondere verlässlicher, grundlastfähiger Energie ist es unverantwortlich, in Deutschland auf leistungsfähige Meeresenergien zu verzichten. Vielmehr sollte man sich ein Beispiel an den niederländischen Nachbarn nehmen, denn dort ist man, wie auch in den anderen Bereichen E-Mobilität und Serielles Bauen, der trägen Bundesrepublik einen guten Schritt voraus.
* Neddermeyer, Franz Heinrich: Topographie der Freien und Hanse Stadt Hamburg, Hamburg 1832, S. 153, 188
** Warnke, Götz: Wege zur Energieautarkie, Hamburg 2014, S. 132 ff.
Wasserkraft-Spezial: Meeresenergien, Teil 1
Wasserkraft-Spezial: Meeresenergien, Teil 2