
Eine Betrachtung von Heinz Wraneschitz
„Wir müssten kucken, was wir selber in den Medien haben wollen: Bildung? Arbeitslosigkeit? Klima? Stattdessen wird selbst im ARD-Presseclub über Bürgergeld gesprochen.“ Der freie Medienjournalist René Martens forderte am vergangenen Wochenende beim Journalismustag der Mediengewerkschaft verdi-dju, eigene Themen zu setzen. Dabei werden wir noch stärker durch Zeitungen, Rundfunk- und TV-Nachrichten oder Online-Seiten überschwemmt von der AfD-initiierten Migranten-Debatte – das erkennen wir alle tagtäglich.
Warum berichten wir so; warum lassen wir uns durch Trends beeinflussen; müssten wir nicht aus Fehlern lernen? Unter diesem Motto stand das Podium, auf dem der u.a. für Übermedien tätige Mertens auftrat. Doch so einfach ist das für „Normal-Journalist:innen“ in den altbekannten, so genannten „analogen Medien“ nicht, eigene Themen in den Vordergrund zu stellen. Lars Hansen, Mitglied im Bundesvorstand von verdi-dju und Redakteur beim Hamburger Abendblatt brachte es auf den Punkt: „Wir müssen uns fragen, wer steht hinter den Medien?“ Dann werde auch klar, warum zum Beispiel die zum Springer-Konzern gehörende „Welt am Sonntag“ Anfang Januar einen AfD-Unterstützer-Beitrag von Elon Musk unkommentiert abdruckte, dem reichsten Mann der Welt und u.a. Tesla- und X-Chef. Denn „Springer“ gehört zu großen Teilen dem US-Investmentkonzern KKR. An KKR wiederum sind eine ganze Reihe von bekannten US-Investoren beteiligt, darunter Blackrock (unter anderem ehemaliger Arbeit- und Geldgeber von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz).
Solche Großanleger investieren zwar auch immer mal wieder in Erneuerbare Energien oder Klimaschutzprojekte, ziehen sich daraus aber auch schnell wieder zurück, wenn genug Gewinn daraus erzielt wurde. „So zielt der BlackRock Global Funds – Sustainable Energy Fund A2 Fonds auf maximalen Gesamtertrag ab“, schreibt finanzen.net; um Nachhaltigkeit geht es also wohl nicht wirklich.
Blackrock, Musk und Co: Alle sind auch Geldgeber von Big Tech, jenen großen (US-)Konzernen, die mit ihren Digital-Medien inzwischen den Meinungsmarkt beherrschen. Eine „Enteignung der Medien“ nennt das Prof. Martin Andree, Medienwissenschaftler an der Uni Köln.
„Früher, angefangen zu Zeiten der Höhlenmalerei, haben die Medien niemandem gehört. Jetzt sind sie und wir alle vollständig von Monopolisten in Beschlag genommen, ein fairer und freier Wettbewerb ist abgeschafft. Denn schon jetzt verdienen die Topmonopolisten weltweit 80 bis 90 Prozent des Werbegelds – alle anderen Medien teilen sich die restlichen 10 Prozent“ – eine Tatsache, die bislang kaum ins öffentliche Bewusstsein gedrungen ist.
Das wohl größte Übel: die Machtkonzentration
Über wenige Monopole – darunter Google (zu dem auch Youtube gehört), Musk (mit X), Zuckerbergs Meta (mit Instagram und Facebook) oder das chinesische Tiktok – laufe laut Andree schon jetzt mehr als die Hälfte des „Internet-Traffic, bis Ende des Jahrzehnts wird es drei Viertel sein“ sagt er voraus. „Das freie Internet ist faktisch leergefegt, das ist der welthistorisch größte Umbruch der Medien.“ Und die Generative KI wie ChatGPT helfe den Konzernen noch, „weil wir denen seit Jahrzehnten die Nutzungsrechte geschenkt haben“ an Texten, Bildern, Filmen. „Die Konzerne ziehen die Inhalte umsonst. Da wird das Geld verdient“, dank unser aller unkritisches Akzeptieren von deren Bedingungen.
Was an dieser Stelle aber ebenfalls wichtig anzumerken ist: Durch den riesigen Plattform-Traffic und immer mehr KI-Anfragen steigt der Energiebedarf insbesondere in den USA massiv. Deshalb kommen immer wieder Ideen von Microsoft-Mann Bill Gates und anderen auf, den Stromkonsum mit neuer oder alter Kernkraft zu decken – aus meiner Sicht eine Scheindebatte.
Dabei sei „die Vielfalt der Medien die Grundlage unserer Demokratie“, aber das politische Agenda-Setting finde inzwischen fast ausnahmslos auf den Plattformen statt. „Bigtech und die Trump-Regierung bestimmen inzwischen, was wir sehen. AfD powered by youtube, x, Insta, Facebook“, stellte Andree provokant in den Raum: „Ich verliere den Journalismus. Und die Öffentlich-Rechtlichen Sender werden nicht mehr wahrgenommen.“
Straftatparagrafen gegen Techkonzerne
Für den Medien-Professor „völlig logisch, dass das verfassungswidrig ist“. Das müssten wir endlich kapieren, und etwas dagegen unternehmen. „Big Tech muss weg“ hat er sein aktuelles Buch genannt; „kontrollieren, sperren, zensieren reicht nicht. Die Konzerne zerschlagen“ sieht er als einzige Möglichkeit, um die Demokratie und das „freie Europa“ zu retten. Aber wie? „Das Problem lässt sich ohne Kosten lösen. Wir müssen nur auf erprobte Modelle setzen: Eine Obergrenze bei der Anbieterkonzentration und das Verbot der Monetarisierung strafbarer Inhalte reichen dafür“ ist sich Martin Andree sicher. Zurzeit aber sei „der Anteil der Inhalte, die bei Faktencheckern landen, mikroskopisch klein. Die Konzerne haben ein Straftatprivileg“, macht er klar.
Und so können sich ungestraft immer mehr Fake News und bewusste Lügen verbreiten – während seriöse Medienmenschen als „Lügenpresse und abgehobene Eliten“ tituliert werden, wie eine brandaktuelle Studie der Uni Leipzig zum Journalismus- und Demokratievertrauen in Sachsen festgestellt hat.
Doch Andree hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben: „Denn die Politik hat dasselbe Problem: Die Bedingungen des politischen Diskurses werden von den Plattformen bestimmt. „Wir müssen wissen, dass wir beispielsweise auf Youtube nicht mehr unabhängig sind“: Auch Bayerns Regierungschefs Esskapaden könnten von denen mir nichts, dir nichts abgeschaltet werden.
Medienfreiheit vor dem Aus?
Mit einem historischen Vergleich endete Prof. Andrees engagierter „Weg mit Big Tech“-Vortrag: „Bei der Spiegel-Affäre haben die Leute 1962 auf der Straße für die Medienfreiheit demonstriert. Das, was jetzt passiert, ist Faktor 100! Wir müssen hier und jetzt den Aufstand machen. Die Tec-Oligarchen werden nicht von selber verschwinden. Das ist genauso wie bei der Klimakrise.“ Und damit wären wir wieder bei deren mikroskopischem Vorhandensein in den Medien angelangt – ob in den analogen oder digitalen. Doch in den letzteren Plattformen sind gerade die geldbehafteten Fossil-Konzerne massenhaft unterwegs; verbreiten oft über Bots, also KI-gestützte Programme Falschinformationen, auf die Wissenschaftler:innen wie Michael E. Mann zwar mit Fakten antworten, aber der elektronischen und finanziellen Übermacht nicht gewachsen scheinen.
So schnell kann sich die Welt ins Gegenteil verkehren. Womöglich bald auch in der Klimapolitik?