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Heinz Wraneschitz

Schallende Ohrfeige für die europäische Autopolitik

Der ECA fordert bezahlbare E-Fahrzeuge. Der Microlino könnte eines sein – wenn er denn erst einmal auf dem Markt wäre. Foto: Wraneschitz

Ein Bericht von Heinz Wraneschitz

In den letzten zwölf Jahren haben die durch Pkws verursachten klimaschädlichen Emissionen in Europa nicht abgenommen. Dabei hätten immer strengere Vorschriften wie die elf Jahre alte EU-„Verordnung über Normen für Kohlendioxidemissionen (CO?) neuer Personenkraftwagen“ eigentlich genau dafür sorgen sollen. Der Europäische Rechnungshof (European Court of Auditors, kurz ECA) – watscht jetzt gleichermaßen EU-Kommission wie Regierungen der Mitgliedsländer für ihre aktuelle, oft nicht abgestimmte Mobilitätspolitik kräftig ab.

In einem am 24. Januar 2024 veröffentlichten Bericht benennt der ECA die von Autoherstellern besonders in den 2010er-Jahren genutzten „Schlupflöcher bei den Prüfnormen, um bei Labortests niedrigere Emissionen zu erzielen. Der Unterschied zu den tatsächlichen, also den im praktischen Fahrbetrieb erzeugten Emissionen war enorm.“

Die Prüfer haben die Niederlande, Frankreich und Deutschland genauer unter die Lupe genommen. Beispielhaft macht der ECA, der anders als Rechnungshöfe hierzulande nicht nur monetäre Auswirkungen politischen Handelns, seine Kritik an diesen drei EU-Mitgliedern fest. Aber nicht nur in NL, F und D: Überall in der EU habe sich selbst in den 2020er Jahren am Gesamt-CO2-Ausstoß von Autos praktisch nichts geändert. „Im Zeitraum 2009–2019 gingen die durchschnittlichen im praktischen Fahrbetrieb verursachten Emissionen neuer Pkw nicht zurück. Das lag vor allem daran, dass sich die Hersteller auf die Verringerung der im Labor gemessenen Emissionen statt auf die Verringerung der tatsächlichen Emissionen konzentrierten.“ Sprich: Was im Auto-Prospekt steht, ist meist unrealistisch; versprochene Verbrauchs- wie Emissionswerte werden bei der echten Nutzung der Pkw auf der Straße überschritten. Deshalb liegen seit 2010 die durchschnittlichen Emissionen auf der Straße Jahr für Jahr um mindestens 35 Gramm CO2 pro Kilometer über den Laborwerten.

Labor und Straße haben fast nichts miteinander zu tun
Das Prüferteam schreibt dazu: „Auf der Straße hängen die Emissionen von Faktoren wie dem Fahrverhalten, der Außentemperatur, dem Verkehr, der Höhenlage und der Nutzung energieverbrauchender Ausstattung wie Beleuchtung oder Klimaanlage ab.“ Dabei ragt ein Kfz-Typ sogar ganz massiv negativ heraus: Besonders bei neuen Plug-in-Hybriden gäben „die Emissionen weiterhin Anlass zur Sorge“, so der ECA.

Das liege aber nicht nur an der „unzureichenden Gewähr hinsichtlich der Richtigkeit der von den Herstellern in den CoC (*) gemachten Angaben“: Die Prüfer berufen sich dabei auf eine „von der Kommission durchgeführte vorläufige Analyse der Daten aus dem praktischen Fahrbetrieb von im Jahr 2021 neu zugelassenen Fahrzeugen. Bei Plug-in-Hybriden betrug die durchschnittliche Differenz rund 250 Prozent“, während die Emissionen bei Diesel-Kfz um 18,1 Prozent, bei Benzinern um 23,7 Prozent über den Laborwerten lagen.

Bei reinen Verbrennern führen das die ECA-Prüfer darauf zurück, dass „größere Fahrzeugmassen in Zusammenhang mit der gestiegenen Motorenleistung den technologischen Fortschritt aufwiegen“. So seien die Kfz zwischen 2011 und 2022 um rund zehn Prozent schwerer geworden, und die Motorleistungen seien um ein Viertel gestiegen. Trotzdem hätten die Hersteller von verschiedenen „Modalitäten“ profitiert und allein „im Jahr 2020 fast 13 Milliarden Euro weniger an Abgaben wegen Emissionsüberschreitung gezahlt“, ist im ECA-Bericht zu lesen. Diese „Modalitäten“ würden aber spätestens „im Rahmen des 2023 angenommenen Pakets „Fit für 55“ ab 2025 abgeändert“, so der Hoffnungsschimmer.

Hybrid-Firmenautos – das Gegenteil von klimafreundlich?
Doch warum liegen die Straßen-Emissions-Werte „bei Plug-in-Hybriden im Durchschnitt drei- bis fünfmal so hoch sind wie die im Labor“? Weil laut der ECA-Analyse „deren Verbrennungsmotor häufiger genutzt wird als erwartet, insbesondere bei Firmenwagen. In diesen Fällen tragen in der Regel die Unternehmen die Kraftstoffkosten, sodass es keinen finanziellen Anreiz für die Beschäftigten gibt, die Batterien aufzuladen.“ Es könnte also stimmen, was des Öfteren zu hören ist: Bei der Rückgabe von Firmen-Leasingautos sollen viele Ladekabel noch verpackt im Kofferraum liegen. Trotzdem – und auch das kritisieren die Prüfer – werden bis noch bis 2025 Plug-Ins in den Mitgliedsstaaten auf verschiedene Art staatlich gefördert. „Daher bleiben Plug-in-Hybride bis dahin möglicherweise eine attraktive Option für die Hersteller, da sie weiterhin als emissionsarme Fahrzeuge behandelt werden“ – obwohl sie praktisch das Gegenteil bewirken.

Und noch eine Feststellung ist bemerkenswert: Grundsätzlich seien die EU-weiten Flottenziele für 2020 nicht erreicht worden – auch weil immer mehr Autos länger in Betrieb gehalten würden. Seit jenem Jahr seien zumindest die CO2-Emissionen neu zugelassener Fahrzeuge kontinuierlich zurückgegangen – jedoch einzig und allein wegen des „deutlichen Anstiegs der Verbreitung von Elektrofahrzeugen“, so der ECA: „Je stärker auf den Elektroantrieb zurückgegriffen wird, desto besser ist es für das Klima, da weniger Emissionen verursacht werden.“

EU-Rechnungshof-Mitarbeiter Pietro Russo sagt bereits voraus: Es werde sehr schwer, das zwischen EU und Mitgliedsstaaten vereinbarte Ziel „Klimaneutralität bei Kfz im Jahre 2035“ zu erreichen. Das gehe grundsätzlich nur, wenn „eine ausreichende Verbreitung von emissionsfreien Fahrzeugen gewährleistet ist“, da weder konventionelle Fahrzeuge noch Hybridfahrzeuge der EU etwas beitrügen. „Aber die Elektrifizierung der europäischen Autoflotte ist alles andere als eine kleine Aufgabe. Die EU-Länder müssten zunächst die Versorgung mit Rohstoffen sicherstellen, Batterien produzieren, genügend Ladestationen bereitstellen und Elektroautos für ihre Bürger erschwinglich machen“, so Russo in einer Pressekonferenz am Mittwoch, 24. Januar 2024.

Digitalisierung hinkt hinterher
Und auch das hat der ECA festgestellt: „Die Systeme der Mitgliedstaaten für die Erhebung und Überprüfung von Daten (der Autohersteller; d.Red.) bieten nur unzureichende Gewähr hinsichtlich der Datenqualität.“ Heißt: Mit der vielbeschworenen Digitalisierung ist es europaweit offensichtlich ebenfalls nicht weit her. So hätten beispielsweise „die ursprünglichen Daten, die nach Vornahme der Kontrollen der mitgliedstaatlichen Behörden übermittelt wurden, falsche Werte enthalten oder Werte gefehlt“. Laut ECA „fehlten bei einem Prozent der von Deutschland, 14 % der von Italien und 27 % der von den Niederlanden gemeldeten neuen Pkw Werte zu kritischen Parametern“.

(*) CoC:
CoC bedeutet offiziell „Certificate of Conformity“, auf Deutsch Konformitätsbescheinigung, die hierzulande meist „EG-Übereinstimmungsbescheinigung“ genannt wird.