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Jörg Sutter

„Offener Brief“ an Verkehrsminister Wissing

Verspätungen im Bahnverkehr – eine der großen Baustellen im Verkehrsbereich, Foto: Sutter

Von Jörg Sutter

Sehr geehrter Herr Verkehrsminister Wissing,

ja, Sie haben sich einmal wieder durchgesetzt. Das mag Ihren Wählern gefallen, dem politischen Prozess und dem Zusammenhalt im Bereich des Klimaschutzes in Deutschland haben Sie damit keinen Gefallen getan.

Erstaunt mussten wir, die wir als Verband schon seit Dezember auf die Verabschiedung des Solarpaket I warten, aus der Presse erfahren, dass dessen Umsetzung aktuell plötzlich politisch mit dem Klimaschutzgesetz verbunden wird und damit in einem politischen Kuhhandel mündet. „Geiselhaft“ war eine Formulierung, wie sie in diesem Zusammenhang in der Presse verwendet wurde. Wird ein solches Vorgehen den aktuellen Anforderungen des Klimaschutzes gerecht? Ich bin sicher: Nein.

Und ich bitte Sie um eine kurze Erklärung zu einer Tatsache, die mir nicht erklärbar ist: Der Verkehrsbereich in Deutschland macht seit Jahren bei der CO2-Einsparung keine Fortschritte. Sicher, das ist nicht nur Ihnen als Ressortverantwortlichem, sondern auch Ihren Vorgängern anzulasten. Doch die schlichte Weigerung, entgegen der aktuellen Gesetzeslage ein geeignetes Sofortprogramm zu verabschieden, kann einen Staatsbürger nur kopfschüttelnd zurücklassen. Wie soll das funktionieren, wenn nicht einmal die große Politik die eigenen gesetzlichen Spielregeln einhält? Das Thema hatten wir ja schon 2022, wo es einen Sofortprogramm-Entwurf aus Ihrem Hause gab, den der Expertenrat für Klimafragen (ERK) als mangelhaft zerrissen hat. Auch so wird der Klimaschutz schlicht mit Füßen getreten – aus Gründen, die ich bis heute nicht ansatzweise nachvollziehen kann.

Dass jetzt ganz schnell ein neues Klimaschutzgesetz verabschiedet werden soll, welches den Druck aus den Einzelressorts nimmt – sorry, aber das entbindet Sie und Ihren Verkehrsressort zukünftig nicht davon, Maßnahmen zu ergreifen, auch wenn jetzt keine Daumenschrauben mehr angezogen werden. 2023 hat Ihr Ressort Verkehr insgesamt 12,8 Mio. Tonnen CO2 zu viel ausgestoßen. Das hat in dieser Woche der Expertenrat für Klimafragen auf Grundlage seines Prüfberichts der Emissionsdaten des vergangenen Jahres bestätigt. Deshalb muss hier schleunigst etwas getan werden.

In dieser Situation der Bevölkerung mit dem Schreckgespenst von Fahrverboten am Wochenende zu drohen – soll das verantwortungsvolle Politik sein? Wenn eine Boulevardzeitung titelt „Vermiest die Ampel-Regierung Millionen Deutschen die Sommerferien?“ – nein, das hat nichts, aber auch gar nichts mit verantwortlicher Politik zu tun.

Und diese Zeilen schreibe ich an Bord eines ICEs, der ausnahmsweise einmal nur wenige Minuten verspätet ist und mit dem ich gerade nach Hause fahre, um morgen wieder in mein Elektroauto zu steigen. Sie werden verstehen, dass ich Aussagen zur „Technologieoffenheit“ und Lippenbekenntnisse zur Bahn persönlich nicht mehr hören kann und die Vernachlässigung der Schieneninfrastruktur in fast jeder Woche am eigenen Leib spüre.

Und wenn wir schon dabei sind, möchte ich mich auch an dieser Stelle für das letztjährige Förderprogramm (KfW 442) aus Ihrem Hause „bedanken“: Selten habe ich soviel Frust erlebt von Antragstellern, die nicht auf den Server kamen, Kopfschütteln bei Energieberatern, die die Zielgruppe als verfehlt sahen und von Menschen, die im Internet hektisch nach bidirektionalen Wallboxen gesucht und nichts gefunden haben. Und das verschwiegen wurde, dass ein Teil der Förderung erst 2024 kommt – und dann letztendlich wieder gecancelt wurde.

Ja, wenn den Menschen der Spaß und das Engagement an der Energiewende genommen werden soll, die wir doch so dringend brauchen, dann geht das genau so.

Habe ich Hoffnung? Leider im Moment nicht. Einzige Chance: Sie überzeugen politisch mit konkreten Maßnahmen, die den Klimaschutz endlich im Verkehrsbereich ankommen lassen. Was lese ich aktuell dazu? Ihre Parteikollegen aus Bayern kritisieren Berlin, weil die Hauptstadt ein ÖPNV-Stadtticket für 29 Euro anbieten möchte. Das passiert „mit bayerischem Geld aus dem Länderfinanzausgleich“ und „bedroht das 49-Euro-Ticket“.

Wenn diese Zeilen erscheinen, ist das zweitägige Treffen der Landesverkehrsminister in Münster bereits beendet. Wie berichtet wird, nehmen Sie an dem Treffen nicht teil. Das würde ja vermutlich mit Ihrem Grußwort beim „Future&Finance Day“ am Tegernsee zeitlich kollidieren, wo Sie am Donnerstag erwartet werden und das wohl wichtiger ist als die Sicherung des ÖPNV in Deutschland für Millionen von Bürgern.

Nein, ich habe keine Hoffnung.

Ihr Jörg Sutter