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Götz Warnke

Mentale Hindernisse der Klimawende, Teil 3: Gutmenschentum

Titelbild der 1. Auflage. Das Buch ist ein gutes Gegenmittel gegen die Übermoralisierung [Quelle: Edition Tiamat]

Ein Meinungsbeitrag von Götz Warnke

Wer sich mit dem Thema Klimakrise und Energiewende beschäftigt, der weiß, dass ein unkontrollierter Zustand des Klimasystems jenseits der 1,5°C immer näher rückt, während gleichzeitig die Energiewende, die diese Schussfahrt in den Abgrund eines lebensunfreundlichen Planeten stoppen könnte, nicht schnell genug voran kommt, weil widerstrebende Interessengruppen sie blockieren oder sogar sabotieren.

Weshalb tut man sich so schwer mit einer sinnvollen, sicheren und schnellen Energiewende hin zu mehr Klimaschutz, wobei doch alle rationalen Argumente wie Energieunabhängigkeit, Energiesicherheit, Wohlstand im eigenen Land statt Finanzierung von Terrorstaaten etc. dafür sprechen? Wie immer, wenn rationale Argumente beim Zuhörer nicht mehr verfangen, liegen die Hindernisse hierfür auf der mentalen bzw. psychischen Ebene.
Nach der Jetztzeitigkeit und der Widerständigkeit folgt hier ein weiteres Problemfeld:

Das Gutmenschentum

Der Begriff Gutmenschentum wurde populär und ging in den allgemeinen Sprachgebrauch ein durch das „Wörterbuch des Gutmenschen. Zur Kritik der moralisch korrekten Schaumsprache“, welches die Literaten und Satiriker Klaus Bittermann und Gerhard Henschel 1994 herausgaben. Das Buch besteht aus vielen sprachlich-satirischen Einzelkritiken unterschiedlicher Autoren: Joseph von Westfalen schreibt über Betroffenheit, Roger Willemsen über Glaubwürdigkeit, Wiglaf Droste über Mein Freund ist Ausländer, Henryk M. Broder über Täter und Opfer uvm. Das Buch ist zwar ein literarische Abrechnung mit der in den 1980er und frühen 1990er Jahren verbreiteten Befindlichkeitskultur, dahinter steckt aber auch eine Kritik an dem diese Kultur tragenden Persönlichkeitstypus. Diesen Typus hat der deutsche Psychoanalytiker Fritz Riemann – sprachlich nicht glücklich – in seinem Buch „Grundformen der Angst“ als „depressive Persönlichkeit“ beschreiben. Dieser Typus ist nach Riemann einerseits mitfühlend, nahbar, besorgt, bescheiden, andererseits auch harmoniebedürftig, idealisierend, undifferenziert. Der depressive Typus möchte gut sein, stets auf der Seite der Guten stehen, und sich von der meist als „böse“ empfundenen Welt möglichst gemeinschaftlich und für alle sichtbar distanzieren – was auch zu einem Gefühl moralischer Überlegenheit führt. „Ebenfalls unbewusst bleiben die Aggressionen, in der vielleicht häufigsten Form depressiver Aggression: im Jammern, Klagen und Lamentieren“, so Riemann (S. 92)

Ein Bereich, wo auch jenseits des juristischen Betriebs viel geklagt wird, ist die deutsche Schützerkultur außerhalb der wissenschaftlich-rational fundierten Arbeitsbereiche Klimaschutz und Umweltschutz. Beim Denkmalschutz klagt man über die gefährdete Baukultur, beim Tierschutz über die armen Tiere, beim Landschaftsschutz über die verlorene Schönheit der Landschaften, beim Naturschutz über die Eingriffe des Menschen in die ach so gute und ganzheitliche Natur.

Dabei wirken viele dieser nur gefühlten und dabei dramatisierten Wirklichkeiten auf die Erneuerbaren Energien (EE) verzögernd oder sogar verhindernd. Denn während die Umwelt- und Klimaschützer durchaus EE-kritisch sind – Klimaschützer z.B. gegenüber den großen Stauwasserkraftwerken, die insbesondere in den Tropen Unmengen an Methan emittieren; Umweltschützer gegenüber der Bioenergie mit ihren Mais-Monokulturen – , aber die Sachlage rational betrachten und daher nicht grundsätzlich EE-feindlich sind, geht es den übrigen Schützern oft um die pure Verhinderung von EE-Anlagen: PV verunstaltet angeblich als Denkmal erkannte Gebäude, Windkraft schreddert Vögel und verhunzt harmonische Landschaften, Agri- und Freiflächen-PV-Anlagen verspiegeln die Natur und zwingen dem Wild andere Wege auf etc.

Diese subjektiven Geschmäcker und Normen werden häufig mit einem großen moralischen Überschwang vorgetragen – auch wenn sie objektiv gar nicht den Tatsachen entsprechen. Über Ästhetik lässt sich bekanntlich streiten, und manche bauliche CO2-Sünde kann nicht nur deshalb unverändert erhalten werden, weil sie das Unikat eines berühmten Architekten ist, der mal „einen schlechten Tag gehabt hat.“ Windkraftanlagen sind keine Vogelschreddern; da sollte manche über-engagierte Tierschützerin besser ihre freilaufende Katze ab- bzw. keine neue anschaffen. Was die Schönheit einer Landschaft anbelangt, so muss diese nicht natürlich sein – wer es nicht glaubt, gebe mal „Windkraft im Nebel“ in die Bildersuche ein. Und auch die Agri-PV muss sich vor überdüngten und pestizidierten Mais-Monokulturen nicht verstecken; dass Wildtiere andere Wege nehmen müssen, ist kein Drama, denn das haben sie vor der Anlage der Landwirtschaftsflächen auch getan.

Zwei Beispiele sollen das Problem noch mal verdeutlichen:
Naturbelassene Flüsse mit höherer Fließgeschwindigkeit können sich in die Landschaft eintiefen, wie das Beispiel des Grand Canyon zeigt. Dadurch sinkt der Grundwasserspiegel, was die Natur an den Ufern beeinträchtigt. Dazu kommen die durch die Klimakrise vermehrten Hochwasser, die ebenfalls die umgebenden Kultur- oder Naturlandschaften schädigen. Wirksame Gegenmittel gegen schnelles Wasser sind Querverbauungen wie z.B. kleine Stauwehre. Diese können fischfreundlich gestaltet und mit Wasserkraftanlagen versehen werden, welche die Strömungsgeschwindigkeit mindern. Gibt es nicht hinreichend Querverbauungen oder werden diese auch noch zurückgebaut wie an der Ahr, dann passieren solch Katastrophen wie ebendort. So weit, so bekannt. Doch das interessiert Naturschutzverbände wie den BUND e.V. offensichtlich nicht. Der macht im BUNDmagazin 1/25, (S. 20 f. und 36 f.) Front gegen eine Querverbauung am deutschen Teil der – sich selbst vertiefenden – Salzach. Dass damit zugleich ein klimafreundliches Laufwasserkraftwerk verhindert wird, stört offensichtlich auch nicht weiter, obgleich man andernorts als Klimaschutzverband auftreten möchte. Die Liebe zum unberührten, natürlichen Fluss geht „Gutmenschen“ wohl über alles.

Anderes Beispiel: Am Freitag, dem 06. September 2024, verschickte der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Sascha Müller-Kraenner, eine Rundmail mit dem dramatischen Betreff „Bitte helfen Sie mir, das UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer zu bewahren!“. Im folgenden Text der Email finden sich dann erklärende Sätze wie „Denn der niederländische Konzern One-Dyas versucht seit Monaten mit aller Macht, dem Naturparadies den Garaus zu machen. Aus reiner Profitgier treibt der Konzern seine Pläne voran, vor der Urlaubsinsel Borkum – zur Hälfte unter der niederländischen und deutschen Nordsee – nach Gas zu bohren und damit den weltweit einzigartigen Watt-Lebensraum ein für alle Mal zu zerstören.“

Was war da los? Der niederländische Energiekonzern One-Dyas hatte außerhalb des Gebiets des Weltnaturerbes Wattenmeer, im Flachwasser am Rande des Großschifffahrtsweges Ems, eine Bohrinsel errichtet. Von dieser aus will One-Dyas eine Bohrung schräg nach unten in ein Gasfeld unter dem Weltnaturerbepark führen und das Gas per Leitung ins niederländische Gasnetz einspeisen. Solche Schrägbohrungen sind in der fossilen Bohrindustrie seit vielen Jahren erprobt und technisch zuverlässig.

Neue Gasbohrungen sind für uns Anhänger der Erneuerbaren Energien immer eine unschöne Nachricht. Andererseits ist klar, dass heimisches Erdgas auch importiertes Fracking-LNG ersetzt – schon allein aus Kostengründen. Allein die Vorketten-Emissionen von LNG sind bis zu sieben Mal so hoch wie bei leitungsgebundenem Erdgas. Und so unschön es ist: wir brauchen fossiles Gas zumindest noch für ein Jahrzehnt – auch die Deutsche Umwelthilfe fordert ja nirgendwo einen sofortigen Gasnutzungsstopp. Bei der Bohrung handelt es sich zudem um eine Gasbohrung, die – anders als eine Ölbohrung – auch bei Leckagen das Wattenmeer kaum gefährdet; andernfalls wären die Meeresränder durch natürliche unterseeische Gasaustritte (Pockmarks) längst ruiniert. Und schließlich: auch Naturschutzgebiete haben sinnvollerweise ihre Grenzen. Die entsprechenden Schutzansprüche reichen weder horizontal noch vertikal darüber hinaus.

Fazit

Die Energie- und Klimawende wird häufig von „Schützergruppen“ ausgebremst. Diese Schützer folgen häufig eher emotionalen, gutmenschlichen als rationalen Gründen bzw. Narrativen. Dabei ist ihnen das Gewohnte, Vertraute stets das Gute, Wahre und Schöne, die Veränderung hingegen selbst dann eine emotionale Bedrohung, wenn es dafür sachlich gar keine Begründung gibt. So wird dann z.B. die Natur zu einem absoluten Wert, zum Guten schlechthin, wobei doch jedem rational denkenden Menschen klar ist, dass ein ökologisch vielfältiger Permakulturgarten allemal lebensfreundlicher ist als ein ödes, natürliches Vulkanfeld. Klar ist auch: die Energie- und Klimawende braucht es bei manchen mehr Rationalität.