
Ein Meinungsbeitrag von Götz Warnke
Wer sich mit dem Thema Klimakrise und Energiewende beschäftigt, der weiß, dass ein unkontrollierter Zustand des Klimasystems jenseits der 1,5°C immer näher rückt, während gleichzeitig die Energiewende, die diese Schussfahrt in den Abgrund eines lebensunfreundlichen Planeten stoppen könnte, nicht schnell genug voran kommt, weil widerstrebende Interessengruppen sie blockieren oder sogar sabotieren.
Weshalb tut man sich so schwer mit sinnvollen, sicheren und schnellen Energiewende hin zu mehr Klimaschutz, wobei doch alle rationalen Argumente wie Energieunabhängigkeit, Energiesicherheit, Wohlstand im eigenen Land statt Finanzierung von Terrorstaaten etc. dafür sprechen. Wie immer, wenn rationale Argumente beim Zuhörer nicht mehr verfangen, liegen die Hindernisse hierfür auf der mentalen bzw. psychischen Ebene.
Nach der Jetztzeitigkeit hier ein weiteres Beispiel:
Die Widerständigkeit
Beharrungsvermögen ist eine wichtige menschliche Charaktereigenschaft: die eigene Meinung vertreten, auch wenn das anderen nicht passt, seine Rechte zu kennen und sie zu verteidigen, eigene Argumente gegen die der anderen vernünftig abwägen zu können – das alles und noch einiges mehr gehört dazu. Beharrungsvermögen beinhaltet auch, sich von schnell wechselnden Moden abgrenzen zu können, „nicht jeder Sau hinterherzulaufen, die gerade durchs Dorf getrieben wird“, sich von der Pseudo-Autorität des „Neu“ der Jetztzeitigen abzugrenzen, in dem Wissen, dass „Neu“ kein Wert an sich und auch nicht unbedingt besser ist – schließlich ist jeder frische Hundehaufen auch „neu“.
So weit, so gut.
Doch das sinnvolle Beharrungsvermögen kann sich auch zu einer Übersteigerung entwickeln, die sich dann verselbständigt, ja zu einem Lebensmotto wird: zur Widerständigkeit. Die Auslöser dafür können viele sein:
Das Gefühl, herumgeschubst und nicht beachtet zu werden. Die Erfahrung „über den Tisch gezogen worden zu sein“ und Unrecht erlitten zu haben. Das Gefühl der Überforderung durch fremde Ansprüche. Und, und und.
Besonders bei vielen Menschen in den östlichen Bundesländern, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, sind diese Erfahrungen und Gefühle seit der Wendezeit sehr präsent. Hunderttausende sind 1989 mutig auf die Straße gegangen, um für Freiheit zu demonstrieren, ohne zu wissen, ob die DDR-Führung nicht doch zur „chinesischen Lösung“ greift. Nach der Wende haben viele ihre Arbeit verloren, sind von windigen Wessis wirtschaftlich über den Tisch gezogen worden, durften für miese Löhne arbeiten und wurden von woken Wirrköpfen aus dem Westen belehrt, was man so alles sagen bzw. nicht sagen darf.
Manche dieser Menschen im Osten haben zudem bereits zwei „Energiewenden“ hinter sich: nach der Ölkrise 1973 von der Ölheizung zur Braunkohle, und nach der Wende ab den 1990er Jahren von der Braunkohle-Heizung zur Gasheizung. Ist jetzt eine dritte Energiewende jetzt wirklich notwendig?
Dass diese „Ossis“ kritisch, beharrend und nicht für jede Neuerung offen sind, ist mehr als verständlich. Zum Problem für sich und andere wird es erst, wenn sich die Kritik zu einer grundsätzlichen Widerständigkeit verfestigt, wenn sich die kritische Haltung zu einem fast allumfassenden „Dagegen“ verabsolutiert. Die entsprechenden Narrative lauten dann: „Die wollen nur ihren Reibach machen“; „Die wollen uns über den Tisch ziehen und für dumm verkaufen“; „Die wollen mir Böses“. Veränderungen, die von außerhalb des eigenen Zirkels, der eigenen Gruppen angestoßen werden, werden hauptsächlich negativ gesehen – eine Einstellung, die sowohl in Ost wie West präsent ist. Stark ist die Widerständigkeit vor allem dann, wenn die Aufforderungen zu Veränderungen von Autoritäten wie Staat und Wissenschaft ausgehen. Und von hier führt ein kurzer Weg zu Verschwörungserzählungen.
Ein Beispiel für diese Haltung ist die Corona-Pandemie, in der Menschen sich als Opfer einer Verschwörung sahen, die nur dazu da sei, mittels aufgebauschter Corona-Ängste die Menschen durch die Impfungen abhängig zu machen und zu unterdrücken. Während die medizinische Fachwelt wegen der heute höheren und schnelleren (Flugzeug) Mobilität schon längst mit einer neuen, großen Pandemie wie die von 1918 ff. rechnete, zumal es mit Sars 2002/2003 und Mers ab 2012 genug Beispiele für Infektionsausbrüche gab, wurde die Mehrheit der Menschen von der Pandemie überrascht und überfordert. Bei den Widerständigen führte das zu einer totalen Verweigerung gegenüber Impfungen und dem Tragen von Masken; im Falle der Corona-Spaziergänge auch zu aktivem Widerstand, u.U. mit erheblichen gesundheitlichen Folgen.
Von der Widerständigkeit in der Corona-Pandemie ist es kein weiter Weg bis zur Leugnung der Klimakrise und der Ablehnung der Erneuerbaren Energien. Die aus Verletzungen und Verunsicherungen entstandene Widerständigkeit schlägt sich in Wissenschaftsfeindlichkeit und einem „Selbstexpertentum“ nieder, das genau „weiß“, dass es eine Klimakrise nicht gibt und die Erneuerbaren Energien daher überflüssig sind.
Bei ihrem Auftreten orientiert sich die Widerständigkeit weder an einer Logik noch an den eigenen Interessen: wenn Gemeindevertreter, die die Agri-PV-Anlage eines Landwirts verhindert haben, argumentieren, man habe verhindern wollen, dass Solaranlagen die Landwirtschaft unmöglich machen, so hat man den Boden der Rationalität verlassen. Das gleiche gilt für Infraschall-Sensible, die sich durch die Windkraftanlage in 800 Metern Entfernung gequält fühlen, nicht aber durch Infraschall-Erzeuger wie Heizungspumpe und Kühlschrank unter ihrem eigenen Dach. Und all’ die braven Bürger, die sich vor islamischem Terrorismus fürchten, aber E-Autos ablehnen und lieber ihr Benzingeld bei den Terror-Finanziers am Persischen Golf abliefern, gehören auch hierher.
Widerständige überlegen eher, wie sie eine neue Entwicklung behindern als wie sie sie für sich nutzen können. Statt sich an einem Bürger-PV-Projekt zu beteiligen, stoppen sie es lieber. Statt durch neue Windkraftanlagen Geld für die eigene Gemeindekasse zu generieren, bringen sie das Windkraftprojekt lieber zu Fall. Widerständige sind wie Wutbürger, die mit ihrem Traktor am Bahnübergang quer zu den Schienen stehen, und dem heranrauschenden ICE entgegen brüllen „Ich lass mich doch nicht wegschubsen!“ Doch der ICE, bestehend aus KI, Robotik und Erneuerbaren Energien, wird sich letztlich nicht aufhalten lassen. Aber die Widerständigkeit könnte ihn soweit verzögern, dass er noch rechtzeitig zur Verhinderung einer galoppierenden Klimakrise an seinem Ziel eintrifft.