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Götz Warnke

Mentale Hindernisse der Klimawende, Teil 1

Immer jetzt und möglichst neu – die Mentalität des frühen 21. Jahrhunderts [Foto: G. Warnke]

Ein Meinungsbeitrag von Götz Warnke

Wer sich mit dem Thema Klimakrise und Energiewende beschäftigt, der weiß, dass ein unkontrollierter Zustand des Klimasystems jenseits der 1,5°C immer näher rückt, während gleichzeitig die Energiewende, die diese Schussfahrt in den Abgrund eines lebensunfreundlichen Planeten stoppen könnte, nicht schnell genug voran kommt, weil widerstrebende Interessengruppen sie blockieren oder sogar sabotieren.

Doch selbst für solche finanziell gut ausgestatteten Interessengruppen gilt: man spielt nur so gut, wie der Gegner es zulässt. Hinsichtlich Balkonsolar und PV auf den Dächern haben die Lobbyisten des fossilen Energie- und Wirtschaftssystems die Schlacht längst verloren; diese Entwicklungen ließen sich nicht einmal mehr von einer AfD-Alleinregierung zurückschrauben. Auch die Installation von Heimspeichern, begleitet durch die entsprechenden Hersteller, ist nicht mehr zu stoppen, zumal der weit überwiegende Teil der Bevölkerung hinter der Energiewende steht. Andererseits werden Agri-PV-, Agri-ST- und Windkraft-Anlagen immer noch vielfach ausgebremst, und bei der Behinderung der Wasserkraft spielen Angler- und Naturschutz-Verbände für die fossilen Energieerzeuger immer noch die „nützlichen Idioten“.

Weshalb tut man sich so schwer mit sinnvollen, sicheren und schnellen Energiewende hin zu mehr Klimaschutz, wobei doch alle rationalen Argumente wie Energieunabhängigkeit, Energiesicherheit, Wohlstand im eigenen Land statt Finanzierung von Terrorstaaten etc. dafür sprechen. Wie immer, wenn rationale Argumente beim Zuhörer nicht mehr verfangen, liegen die Hindernisse hierfür auf der mentalen bzw. psychischen Ebene.
Hier einige Beispiele:

Die Jetztzeitigkeit
Sieht man sich einmal die aktuellen Befragungen der Bevölkerung zu ihren Ängsten – eine der wichtigsten mentalen Triebkräfte – an wie beispielsweise hierhier oder hier, so fällt auf, dass bei Alt und Jung sich die Ängste häufig – nicht immer – um individuelle Situationen drehen und sehr zeitnah bzw. gegenwartsbezogen sind; die möglicherweise in eine Klimakatastrophe übergehende Klimakrise als langfristige bedrohlichste Entwicklung spielt trotz aller Fridays-for-Future-Demonstrationen nur eine untergeordnete Rolle.
In den 1980er Jahren war das teilweise anders: natürlich gab es die Angst vor einem plötzlichen Atomkrieg und einer persönlichen Aids-Infektion, aber es gab auch überindividuelle Ängste vor dem Waldsterben, dem Abgleiten in eine Plutoniumwirtschaft, vor einem sich immer mehr ausweitenden Ozonloch und einem zunehmend autoritären Staat, der die Ergebnisse der Volkszählung gegen seine Bürger verwendet.

Hat sich da etwas verschoben? Nun gab es die Ablenkungs- und Bespaßungs-Industrie mit ihren vielen Fernsehkanälen und den Spielekonsolen schon in späten 1980er und in den 1990er Jahren, vor denen der US-Medienwissenschaftler Neil Postman schon früh gewarnt hatte, u.a. in seinem Buch „Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie“ von 1985. Diese schon damals erkennbaren Tendenzen erhielten einen neuen, gewaltigen Schub, nachdem ab 2007 das Apple iPhone und seine Konkurrenz-Smartphones die Märkte überschwemmten. Damit waren textliche, tonale und (bewegt-)bildliche Informationen und Unterhaltungen – nicht nur mit einer anderen Person wie vorher bei den konventionellen Handys – sofort, überall und zu jederzeit möglich. Niemand musste mehr warten, bis er für eine Online-Bestellung seinen heimischen Computer anwerfen konnte, niemand musste sich mehr für ein Video bis zum Erreichen des abendlichen Fernsehsessels gedulden. Dazu kam die neue Aufmerksamkeitsökonomie der „sozialen Medien“ mit Facebook (2004), Twitter (2006), Instagram (2010), TikTok (2016), die weitere Kommunikationsanlässe boten. Alles wurde jetzt möglich, ohne langes Aufschieben, Überlegen, Warten. Allerdings ist auch alles wieder schnell vorbei, veraltet, vergessen im unablässigen Strom der Informationen. Dem smartphoneaffinen Nutzer liefert das Gerät Sekunde für Sekunde etwas Neues; „Neu“ ist das Zauberwort des modernen Infotainments, in dem das eben Gesehene schon ins uninteressante Gestern hinfort gescrollt wird. Schnell wechselnde Modestyles und Markenhypes ohne Rücksicht auf die Umweltfolgen sind Ausdruck dieser Mentalität. Um aus diesem Strom der selbst gewählten Neuigkeiten und Nichtigkeiten nicht herausgerissen zu werden, gibt es die großen Kopfhörer als eine Art „Hirnpräservative“.
Damit der Nutzer überhaupt noch selbst in diesem Datenstrom auftaucht und sich selbst findet, gibt es die Selfiefunktion des Handys, deren existentielle Bedeutung für viele Smartphoneaffine man vielleicht daran ermessen kann, dass mittlerweile mehr Menschen durch Unfälle bei Selfies umkommen als durch Haie.
Die Jetztzeitigkeit nichtet alle anderen Zeiten wie Vergangenheit und Zukunft; gegenüber dem „Neu“ relativieren sich für manche alle anderen Dinge.

Die Jetztzeitigkeit ist Teil eines seit Jahrzehnten sich vollziehenden gesellschaftlichen Wandels, der diese Entwicklungen begünstigt: dazu gehört die Entstehung einer kurzfristig agierenden Dienstleistungsgesellschaft statt der am Jahresrhythmus orientierten Agrargesellschaften oder der am Tagesrhythmus orientierten Industriegesellschaften. Dazu gehört auch das Verschwinden des Mehr-Generationen-Haushalts mit Großeltern, Eltern, Kindern sowie das Verschwinden der christlichen Frömmigkeit mit ihrer Landzeitperspektive vom ursprünglichen Sündenfall über die heutige eigene Existenz bis zum Jüngsten Gericht.

Die Jetztzeitigkeit wiederum wirkt auch in die Gesellschaften hinein: die Unwilligkeit, sich in Organisationen wie z.B. Vereinen längerfristig zu binden, die generell kürzere Aufmerksamkeitsspanne der Menschen, die sich in den Erzählrhythmen von Romanen und den härter und schneller geschnittenen Kinofilmen niederschlägt, sind nur eine Teil dieser Entwicklung. Auch die deutsche Mieterrepublik mit ihrem Unwillen, auf Immobilienvermögen zu sparen – d.h. im Jetzt für eine bessere Zukunft verzichten – gehört in dieses Bild.

Klar, dass Energie- und Klimawende nicht zu dieser Mentalität passen: Beide erfordern ein Denken an die Zukunft und eine Vorausschau, beide bedürfen der Zeit für Planung und sorgfältige Umsetzung. Es braucht Zeit für das Abwägen und den Mut, auch neue Hypes wie E-Fuels und H2-ready-Heizungen verwerfen, wenn diese sich trotz ihrer Neuigkeit nur als physikalisch-technisch viertbeste Lösung erweisen. Und die entsprechenden Wende-Grundlagen sind meist nicht neu und schick, sondern durchdacht, erprobt, erfolgreich.
Letztlich aber werden sich, so oder so, die Energie- und Klimawende durchsetzen. Denn spätestens wenn die Vorratskammer leer ist, der Pizzaservice nicht mehr kommt und die Läden wegen Katastrophenalarm geschlossen haben, werden viele Jetztzeitige merken, dass auch die tollsten Food-Style-Websites den eigenen Magen nicht füllen können.