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Heinz Wraneschitz

Massiv falsch kalkuliertes Klimarisiko

In den Tropen nehmen Extremwetterlagen stark zu – die Risiken für die Wirtschaft werden verharmlost. Foto: Wraneschitz

Eine Studienbewertung von Heinz Wraneschitz

Geld regiert die Welt: In Zeiten der immer stärkeren Globalisierung; in Zeiten von Anlagekonstrukten wie Blackrock; in Zeiten, in denen dem deutschen Finanzminister die Gegenwart das Alleinseligmachende für den Bundeshaushalt ist und ihm die Lebensqualität der nächsten Generationen völlig am A… vorbeizugehen scheint, da spielen Renditen und Anlegerinteressen offenbar die erste Geige auf der Welt. Doch ausgerechnet in diesen Zeiten haben renommierte Wirtschaftswissenschaftler:innen aus Holland, England, der Schweiz, Italien und Österreich im Nature-Schwesterfachmagazin Nature Communications eine Studie veröffentlicht, die zeigt: es gibt „erhebliche Mängel in den derzeitigen Verfahren zur Bewertung von Klimarisiken. Dies könnte dazu führen, dass klimabedingte finanzielle Verluste für Unternehmen und Investoren stark unterschätzt werden“, fasst beispielsweise die beteiligte Universität Zürich die Studie knackig zusammen.

OK, das Forschungsteam hat seine Erkenntnisse anhand der Auswertung konkreter Daten von 1.820 „Sachanlagen“ in Mexiko gewonnen, die wiederum im Besitz 177 börsennotierter Unternehmen sind. Sachanlagen – das sind zum Beispiel Bergwerke, Kraftwerke oder Zementfabriken dieser Unternehmen. Mexiko wurde deshalb gewählt, weil dieses Land „in hohem Maße physischen Risiken ausgesetzt ist“, wie es heißt. Physische Risiken: das sind aber nach Meinung der Forschenden nicht nur solche, die in heutigen Szenarien verwendet werden wie z. B. Anstieg des Meeresspiegels, Wasserknappheit, Wirbelstürme oder Überschwemmungen. Die Wissenschaftler:innen Giacomo Bressan, Anja Duranovic, Irene Monasterolo, Stefano Battiston haben nach eigenem Bekunden bewusst „auch zukünftige Klimaszenarien berücksichtigt. Insbesondere untersuchen wir akute und chronische Klimarisiken in Abhängigkeit von der Art und dem Standort der Produktionsanlagen des Unternehmens.“

Falscher Bewertungsort für Finanzrisiken
Üblich ist nach Aussage der Studienmachenden, dass Firmenrisiken auch weltweit tätiger Konzerne meist dort bewertet werden, wo sie ihre Hauptsitze haben. Doch durch die Globalisierung sind immer mehr „Sachanlagen“ anderswo stationiert; werden Rohstoffbeschaffung oder Fertigungen oft ausgelagert in Länder, wo das Klimarisiko – ob chronisch, akut oder zukünftig erwartet – wesentlich größer ist als in den Industriestaaten, wo die Firmenchefs residieren.

Die vier Klima-Finanz-Forscher:innen sagen voraus: „Die Verluste durch physische Klimarisiken werden zunehmen“, und zwar, weil „wegen der unzureichenden Klimaschutzbemühungen der Länder die Auswirkungen des Klimawandels steigen und die physischen Klimarisiken selbst zunehmen“. Deshalb empfehlen sie Unternehmen, Anlegern, aber auch Versicherungen, ihre neu entwickelte „Methodik für eine solidere Bewertung der finanziellen Verluste durch physische Klimarisiken als die bisher verfügbaren“ zu nutzen. Darin werden „Informationen über Vermögenswerte und Geschäftsfelder von Unternehmen berücksichtigt und akute und chronische physische Risikoszenarien kombiniert“. Das würde im Gegenzug der Forschung helfen, noch bessere Strategien und Finanzinstrumente zu entwickeln, damit Firmen „die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel stärken und die Anpassungslücke schließen“ können. Der Schlüssel für die Bewertung des physischen Klimarisiko seines Unternehmens seien besagte „Informationen auf Vermögensebene“, also die genaue Betrachtung der einzelnen „Sachanlagen“, nicht die Gesamtbewertung am Standort der jeweiligen Konzernzentrale.

Auf Nachfrage bestätigt Professorin Irene Monasterolo, die unter anderem an EDHEC Business School in Frankreich oder der Wirtschaftsuniversität Wien lehrt: Natürlich seien die auf Grund der Daten mexikanischer „Sachanlagen“ ermittelten Ergebnisse dank der nun veröffentlichten Methodik problemlos auf solche in anderen Ländern übertragbar. Aber werden die Firmen ihre finanziellen Risiken durch den Klimawandel dank der drastischen Ergebnisse der Studie wirklich der Realität anpassen und mehr dagegen tun? Oder werden sie weiter darauf hoffen, dass ihnen nach Extrem-Wetter-Ereignissen wie diesem jüngst im Aostatal die Politik großzügige Wiederaufbauhilfen für ihre „Sachanlagen“ auf die Konten überweist? In Zeiten wie diesen fürchte ich Letzteres. Denn den meisten Managern geht es um kurzfristige wirtschaftliche Erfolge für sich und eventuell die Anleger – aber nicht um die Zukunft oder das Weltklima.