Eine Analyse von Götz Warnke
Im Zuge der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens von 2015 wurden viele Dinge angegangen, geordnet und geregelt: von nationalen Umsetzungsplänen, von den Auswirkungen auf Landwirtschaft, Finanzsysteme, den Luftverkehr national und international, etc. etc. Doch die ganze Zeit stand ein großer „Elefant im Raum“, den niemand ernsthaft anging: das Militär. Und so ist das Militär nicht in das weltweite Abkommen zur Begrenzung der CO2-Emissionen und der Klimakrise eingebunden. Dabei gehen Schätzungen von zwischen 3,3 und 7 Prozent der globalen Emissionen als vom Militär verursacht aus. Auch wenn es heute noch als unmöglich und absurd klingt – wir werden künftig um eine „Roadmap klimaneutrales Militär“ nicht umhin kommen. Dazu soll dieser Artikel nur ein allererster „Aufschlag“ sein.

In der Luft
Auftrieb und Antrieb sind – neben Größe, Gewicht und Form – die bestimmenden Parameter nicht nur für die Fähigkeiten von fliegenden Objekten, sondern auch für ihren Energie- und Ressourcenverbrauch. Grundsätzlich ist dabei immer das Gesamtsystem zu betrachten, was z.B. Start-/Abwurf-Einrichtung, Antrieb, Steuerung, Stabilisierung, Wirkungsmaterial mit einschließt, sich hinsichtlich der Betrachtung aber auf wenige Komponenten reduzieren lässt: also z.B. Kanone + Granate, Rakete + Starteinrichtung, Flugzeug +Bombe oder Flugzeug + Rakete oder Flugzeug + Kanone + Granate, etc.
A)
Da sind zum einen die ballistischen Objekte wie beispielsweise Raketen oder Granaten: hier wird der Auftrieb ausschließlich über die Energie des Antriebs erzeugt. Und der Energieverbrauch für die Überwindung der Erdanziehung ist je nach Gipfelhöhe und Flugdauer sehr hoch, hängt vom Einsatzzweck ab, und ist meist geheim. (z.B. lag die V2 bei 80 km Höhe). Doch spielt der Verbrauch von – fossilen – Energien gegenüber dem Ressorcenverbrauch hier eine eher untergeordnete Rolle.
Was den Ressourcenverbrauch anbelangt, so gehen bei jedem Einsatz einer Rakete Steuerung + Wirkkörper verloren; beim Verschießen einer Granate geht hingegen nur der Wirkkörper verloren, da sich die Steuerung im Wesentlichen durch Ausrichtung des Kanonenrohrs ergibt. Andererseits muss eine Granate sehr viel stabiler/massiver gebaut sein, da sie ihre Flugenergie mit einem einzigen Impuls erhält, sodass das Material einer großen Beschleunigungs-Belastung ausgesetzt ist. Raketen hingegen können meist über ihre gesamte Flugbahn beschleunigen, weshalb sie weniger massiv gebaut sind; zugleich sind sie u.a. größer in Länge und Durchmesser, weil sie ihren gesamten Treibstoff mit sich tragen müssen.
Generell sollte man den Ressourcenverbrauch bei diesen Systemen nicht unterschätzen: so hält z.B. die im Leopard 2 eingesetzte 120-mm-Glattrohrkanone je nach Gasdruck und Granatentyp nur 300-500 Schuss, wobei andere Geschützrohre nur die Hälfte der Schusszahlen oder auch das dreifache erreichen. Da hilft es auch nicht, dass der Ressourcenverbrauch bei der einzelnen Granate gering ist und fast immer unter dem einer Rakete liegt. Auf der anderen Seite halten auch die Startersysteme für die Raketen nicht ewig.
Während man im Raketenbereich in den vergangenen Jahrzehnten versuchte, die unsicheren und (ressourcen-)aufwändigen Flüssigtreibstoffe durch Festtreibstoffe zu ersetzen, gab und gibt es insbesondere im Bereich des Kanonen-Granaten-Systems Versuche, die Degeneration der Start- und Ausrichtungssysteme zu minimieren. Dazu gehören u.a. rückstossfreie Geschütze die auf die schweren und materialintensiven Verschlüsse am Ende des Geschützrohres verzichten. Neuere Typen wie die Matador sind tragbar und sogar aus Räumen von Gebäuden einsetzbar. Auf der anderen Seite gab und gibt es tragbare, z.T. lenkbare raketengetriebene Panzerabwehrwaffen wie die Bazooka, die allerdings eine höheren Materialaufwand erfordern und damit CO2-lastiger sind.
Daneben wurde immer auch versucht, die Vorteile des Raketensystems mit seiner hoher Reichweite und hoher Nutzlast mit den Vorteilen des Artilleriesystems wie Einfachheit, sowie relative Energie- und Ressourcensparsamkeit zu vereinen. Dazu verwendete man Staustrahltriebwerke, die sich den Sauerstoff zur Verbrennung aus der Umgebungsluft holten, die also anders als Raketen keinen Sauerstoff-Tank benötigten. Allerdings müssen Staustrahltriebwerke auf eine gewisse Anfangsgeschwindigkeit gebracht werden. Auf Seiten der Raketentechnik waren/sind es Scramjets, die eine Rakete als Starter hatten; auf Seiten der Geschütze waren es die Trommsdorff-Geschosse. Andere Konzepte, den Materialverbrauch an Geschützrohren besonders bei der Fernartillerie herab zu setzen wie etwa die Kanone V3, dürften in der Praxis kaum zu weniger Ressourcenverbrauch geführt haben.
In den letzten Jahren gibt es immer stärkere Versuche zu einer Dematerialisierung der Artillerie. Dazu gehören die elektromagnetischen Geschütze wie die Coilgun oder Railgun, die elektrische Energie statt chemischer Treibstoffe nutzen, und so hohe Geschwindigkeiten erreichen können. Die Dematerialisierung wird hier mit extrem hohem Energiespitzen in extrem kurzen Zeiträumen erkauft, so dass derzeit nur ortsfeste Batterien und große Schiffe als Standorte für solche Geschütze infrage kommen. Nicht mehr als ballistische Waffen anzusehen sind Schallkanonen; sie sind reine Energiewaffen, bei deren Einsatz (nicht: Konstruktion) kein Ressourcenverbrauch mehr stattfindet. Gleiches gilt für die Laserwaffen, die derzeit von verschiedenen Staaten entwickelt werden.
B)
Starrflügler/Flächenflugzeuge wie Flugzeuge, Gleitbomben, Marschflugkörper sowie MALE– und HALE-Drohnen beziehen ihre Flugfähigkeit aus ihrer Geschwindigkeit, dem Auftrieb ihrer jeweiligen Flügel und der sie umgebenden Thermik. Auch wenn Erneuerbare Energien offiziell beim fliegenden Militär eher noch eine untergeordnete Rolle spielen, so ist der Hinweis nötig, dass im Segelflug rein regenerativ Entfernungen von über 3.000 km zurück gelegt wurden – ein deutlicher Hinweis auf das Potential, selbst wenn sich praktisch antriebslose Segelflugzeuge kaum militärisch nutzen lassen.
Als Antriebe von Militärflugobjekten kommen grundsätzlich Raketenmotoren, Scramjets, Pulsstrahltriebwerke, Düsentriebwerke, Turboprops, Kolben- und Wankelmotoren, sowie Elektromotoren in Frage. Die hier aufgeführte Reihung zeigt in etwa auch den typischen Energieverbrauch der Systeme vom Raketenmotor abwärts, wobei im Einzelfall natürlich immer die installierte Leistung und die Verwendung den Ausschlag gibt.
Noch größer als die Antriebsalternativen sind die Formen der Flugobjekte – von voluminösen Frachtflugzeugen, den Passagiermaschinen ähnlichen Tankflugzeugen, klassischen Bombern und Jagdflugzeugen bis zu Nurflüglern und den rohrförmigen Marschflugkörpern mit ausklappbaren Flügeln. Den Segelflugzeugen am ähnlichsten sind sind Höhenaufklärer bzw. Höhenplattformen wie die Zephyr-Serie von Airbus oder die Phasa 35 von BAE-Systems, die durch ihre von Solarmodulen versorgten Elektromotoren mehrere Wochen lang in Höhen deutlich über 15 km als Überwachungs- oder Funkrelaisstation operieren können.
Der Ressourcenverbrauch der Starrflügler hängt im wesentlichen von der Start-/Abwurf-Einrichtung, dem Antrieb und der Stabilisierung (Flügel, Leitwerk) ab. Als Starteinrichtungen gehören zum Gesamtsystem auch die Start- und Landebahnen, und die sind wegen des dort verbauten, CO2-intensiven Betons oder Stahls (Flugzeugträger-Deck) höchst ressourcen- und klimalastig.
Dazu kommt, ob sich um ein Einwegsystem wie die Shahed-Drohne oder einen Marschflugkörper handelt, oder um ein Mehrwegsystem wie die klassischen Flugzeuge sowie Drohnen wie die Bayraktar tb2.
Eine aktuelle Entwicklung, die aus militärischen Gründen betrieben wird, aber den für uns relevanten Ressourcenverbrauch herab setzen kann, sind halbautonome Drohnen-Flugzeuge bzw. das Loyal-Wingman-Konzept: hier wird ein bemanntes Kampfflugzeug von unbemannten, automatisch-loyalen „Flügelmännern“ begleitet. Bei diesen Kampfdrohnen ohne Pilot kann das gesamte Cockpit mit seiner Glaskanzel sowie den Sicherheits- und Überlebenstechnik für den Piloten eingespart werden.
C)
Drehflügler wie Hubschrauber oder Multicopter beziehen ihren Auftrieb nur durch die rotierenden Flügel/Blätter. Als Antriebe kommen Turboprops Kolben- und Wankelmotoren, sowie Elektromotoren in Frage. Sogar eine erste Solardrohne als Drehflügler gibt es, allerdings nur im Spielzeugformat. Drehflügler haben bei gleichem Startgewicht einen pro Flugstrecke höheren Energieverbrauch als Starrflügler. Auch ihre Flugleistungen wie z.B. Höchstgeschwindigkeit, Reichweite und Flughöhe sind den Tragflächen-Flugobjekten meist unterlegen. Andererseits können sie senkrecht starten sowie landen und dazu noch in der Luft stehen/schweben. Und da sie keine Start- und Landebahnen benötigen, sind sie hinsichtlich Ressourcen- und Klimalasten gegenüber den Starrflüglern im Vorteil.
D)
Schwenkantriebler, auch Senkrechtstarter oder Wandelflugzeuge genannt, sollen das Beste aus der Starrflügler- und der Drehflügler-Welt in sich vereinen, was längst nicht immer gelingt. Von Seiten der Senkrechtstarter kommen hier die Hawker Siddeley Harrier oder die Lockheed Martin F-35B zum Einsatz, von Seiten der Wandelflugzeuge die Bell-Boeing V-22 Osprey mit ihrem Kipprotor, die als Witwenmacher gilt. Wandelflugzeuge werden zuverlässiger und energiesparender funktionieren, wenn erst die schweren Motoren durch leichtere E-Motoren ersetzt werden. Doch auch E-Mobilität muss sich an Ressourcen-Sparsamkeit orientieren – viele E-Wandelflugzeuge wie der Lilium Jet scheinen zu komplex. Ein 3-E-Motoren-Konzept wie bei der Trinity Pro von Quantum Systems dürfte wohl den besten Kompromiss aus Zuverlässigkeit und Ressourcensparsamkeit ergeben.
E)
Nur der Vollständigkeit halber seien hier auch Luftschiffe aufgeführt, deren Ressourcenverbrauch sich vornehmlich daran orientiert, ob es sich um ein aufwändiges Starrluftschiff (z.B. Zeppelin) mit innerem Metallgerüst oder um ein einfaches Prallluftschiff („Blimp“) handelt. Wegen des großen Frontquerschnitts ist der Antriebs-Energieverbrauch generell hoch bzw. die Geschwindigkeit (< 150 km/h) niedrig.
Der Auftrieb wird durch Leichter-als-Luft-Gase wie Wasserstoff oder Helium gewährleistet, die allerdings auch einen Klimafußabdruck haben. Lange Verweilzeiten in der Luft machen den Typ geeignet für Beobachtungen, als Relaisstation, als U-Bootjäger und ggf. für große Materialtransporte.
Überblickt man das Thema „In der Luft“ insgesamt, so muss man feststellen, dass es zwar auf vielen Gebieten Ansätze zur Reduktion des Energie- und Ressourcenverbrauchs gibt, generell aber die Klimalasten der Waffensysteme unakzeptabel hoch sind. Es stellt sich also die Frage, ob man das nun „um des lieben Friedens willen“ akzeptieren muss, oder ob es Alternativen gibt.
Oft hilft in solchen Situationen ein Blick zurück in die Geschichte: Im 2. Weltkrieg gab es zwar kein CO2-Problem, aber bei allen kriegführenden Parteien einen Mangel an Industriestoffen wie Stahl und andere Metalle. Dies führte dazu, dass man sich eines altbewährten nachwachsenden Rohstoffes besann: des Holzes! Das galt auch für den Flugzeugbau – sogar für schnelle und große Flugzeuge: Der Raketenjäger Me 163 (bis 1130 km/h schnell) wurde ebenso in wesentlichen Teilen (Flügelteile, Leitwerk) aus Holz gefertigt wie der erste Stealthjäger Horten H IX (bis 977 km/h); die weitgehend aus Holz gefertigte de Havilland Mosquito (Spitzname: Wooden Wonder) kam auf Geschwindigkeiten über 600 km/h und eine Produktionszahl von 7781 Stück. Jedes dieser Holzflugzeuge war schneller als heute der schnellste Hubschrauber oder die meisten großen Drohnen (Bayraktar-TB2: 222 km/h; MQ-9 Reaper: 482 km/h) – die alten hölzernen Düsenjäger sogar als manche modernen Marschflugkörper (BGM-109 Tomahawk: 878 km/h). Und die hölzerne Hughes H-4 Hercules ist immer noch größer als die meisten Militärtransportflugzeuge heute. Holz könnte also auch heute ein praktikabler, belastbarer Werkstoff für Flugobjekte sein.
Erneuerbare Rohstoffe spielen heute bei fliegenden Objekten wie Militärdrohnen hier, hier und hier, oder bei Satelliten allenfalls eine untergeordnete Randrolle. Dabei haben regenerative Werkstoffe wie z.B. Holz ihre Qualitäten auch in diesem Bereich unter hohen Belastungen längst bewiesen. In ihrer künftigen Verwendung liegt ein Schlüssel für die Dekarbonisierung des Militärs.
Kriegstechnik und Klimafolgen
- Kriegstechnik und Klimafolgen, Teil 1 (Einleitung)
- Kriegstechnik und Klimafolgen, Teil 2 (In der Luft)
- Kriegstechnik und Klimafolgen, Teil 3 (Auf dem Land)
- Kriegstechnik und Klimafolgen, Teil 4 (Durch das Wasser)