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Heinz Wraneschitz

Klima und all das Zeugs: Das Wissen ist da – nur wer will’s wissen?

Das Wissen von 50.000 Studien auf einem Bild – nicht für jeden verständlich, aber vorhanden.

Ein paar persönliche Gedanken zu Menschen und Meinungen von Heinz Wraneschitz

Hurri, hurra, da ist er ja, der „gewaltige Wissensschatz aus 85.000 Einzelstudien zur Klimapolitik“, den jetzt das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) „zusammengeführt“ hat – natürlich wieder in einer Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift npj Climate Action. Aber: Dabei gehe es „nicht unmittelbar um die Wirkung von Klimapolitiken sondern um den Überblick dazu, was bisher überhaupt wissenschaftlich untersucht worden ist – und was unterforscht ist“, wie Max Callaghan, PIK-Forscher und Leitautor des Papiers klarstellt. Deshalb haben die Potsdamer auch gleich eine „interaktive, lebendige, systematische Landkarte“ ins allumfassende WWW gestellt, wie sie stolz verkünden. Was genau darauf zu sehen ist? Darüber sollte sich jede:r selbst ein Bild und Gedanken machen.

Kopfschmerzen statt Antworten
Der Autor dieses Beitrags jedenfalls hat seit dem Klick auf den Link Kopfschmerzen. Auch, weil sich nach einem weiteren Klick auf „Download“ der gleichnamige Ordner seines Computers füllte – und füllte und füllte – mit Wissen, von dem ich und mein Computer wiederum nicht wussten: Was genau ist das für gigabyteriesiges Wissen? Ich jedenfalls sehe mich als unbedarfter Energieingenieur und Journalist mit einigen wenigen Jahrzehnten Berufserfahrung nicht in der Lage, das zu erreichen, was Jan Minx, ein anderer PIK-Forscher verspricht: „Mit dieser Studie und dem dazugehörigen interaktiven Web-Tool gehen wir einen wichtigen Schritt, um schnelle und treffsichere Antworten auf die Klimakrise zu ermöglichen.“ Ja, die PIK-Leute können das wahrscheinlich: treffsicher auf Antwortensuche gehen.

Ich fürchte jedenfalls, die Karte ermöglicht nicht nur mir keine „schnellen und treffsicheren Antworten“: Probleme dürften damit wohl auch jene 4.040 Mitmenschen haben, die an der inzwischen jährlichen Umfrage des Leibniz-Instituts RWI mit dem Titel „Sozialökologisches Panel“ (kauderwelsch-englischer Titel: GREEN-SÖP) teilgenommen haben.

Panel-Studien-Inhalt und gefühlte Realität – zwei Welten
Wer die teils fremdenfeindlichen Bundestags-Debatten zur Migrationspolitik Anfang Februar und die darauffolgenden „Gegen-Rechts“-Demonstrationen wahrgenommen hat, tut sich sicher schwer, diese „in Kürze wichtigsten“ Panel-Ergebnisse zu verstehen: „Bei der Frage nach den aktuell größten Herausforderungen Deutschlands liegt das Thema „Umwelt und Klimawandel“ an erster Stelle (von 38 Prozent genannt). Auf den weiteren Plätzen folgen „Die wirtschaftliche Lage“ (32 Prozent), „Einwanderung“ (32 Prozent), „Die internationale Sicherheitslage“ (23 Prozent) und „Inflation“ (19 Prozent)“, heißt es in einer RWI-Presseinfo vom 7. Februar mit dem Titel „Grüne Wende am Arbeitsmarkt“. Ob es daran liegt, dass die Panel-Befragungen schon ein paar Monate zurückliegen? Denn nach meiner Wahrnehmung werden momentan selbst in den so genannten Kanzlerschafts-Duellen die Themen Klimakatastrophe, Umweltschutz, nachhaltige Energieversorgung miniaturisiert.

Künstliche soll menschlicher Intelligenz auf die Sprünge helfen
Deshalb zweifle ich auch daran, dass der hehre, lobenswerte Anspruch der PIK-Forschenden, die Fachkompetenz von 85.000 Einzelstudien zur Klimapolitik dank künstlicher Intelligenz optisch zusammenzufassen, einen positiven Effekt haben werden. Denn die Wissenschaftler:innen haben ja schon vorher festgestellt: Unter den „Politik-Instrumenten erhalten ökonomische, insbesondere CO₂-Bepreisung in der Forschung viel Aufmerksamkeit, es gibt aber rund um den Globus einen Forschungsrückstand bei ordnungsrechtlichen Instrumenten wie Standards oder Verboten“. Das bedeutet mit meinen Worten: Das Wissen ist im Wesentlichen vorhanden, doch die politische Elite macht daraus keine Regeln.

Könnte es womöglich sein, dass für die PIK-seitig erkannten, wenigen „blinden Forschungsflecken“ Lobbyisten verantwortlich sind, die der Politik immer wieder versichern, der Markt regele alles lieber selbst? „Ein Forschungsrückstand zeigt sich mit Blick auf den Industrie-Sektor: Er steht für 23 Prozent der Treibhausgasemissionen und für 13 Prozent der umgesetzten Klimaschutzpolitiken, aber nur für 8 Prozent der Forschung“, schreibt das PIK. Heißt wohl: Die Industrie fordert, hier lieber nichts zu forschen, sonst kommt heraus, dass die Verantwortlichen etwas ändern müssten.

Treiben menschliche Egoismen die Welt in den Abgrund?
Und beim RWI-Panel? Da sind es nicht die Lobbyisten, sondern die Arbeitnehmenden selbst, die möglichst nichts tun, um sich auf die Zukunft vorzubereiten. „Bezogen auf die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes wird die ökologische Transformation der Wirtschaft zu 19 Prozent als „sehr bedrohlich“ oder „etwas bedrohlich“ angesehen. Damit liegt die Einschätzung zur ökologischen Transformation als Risiko für den eigenen Arbeitsplatz deutlich hinter einem allgemeinen Wirtschaftseinbruch (von 51 Prozent der Befragten genannt), den Energiepreisen (33 Prozent) und internationaler Konkurrenz (26 Prozent).“ Deshalb nennen auch „nur 1,4 Prozent der Personen, die in den vergangenen 24 Monaten den Arbeitsplatz, Beruf oder Wohnort gewechselt oder an einer Weiterbildung teilgenommen haben, die ökologische Transformation als Grund. Wichtigste Motive sind dagegen mehr Erfüllung im Beruf und eine bessere Bezahlung (jeweils 40 Prozent) sowie allgemein bessere Arbeitsbedingungen (31 Prozent).“ Sprich: man interessiert sich nicht für die Zukunft, sondern vor allem für`s Geld.

Journalistische Arbeitsverweigerung?
Es gab aber noch eine zweite Sozio-Panel-Presseveröffentlichung des RWI. Die titelte interessanterweise so: „Bevölkerung bevorzugt den Ausbau erneuerbarer Energien und der Netze statt eines Klimageldes.“ Und wie ich traurig feststellen musste: Viel mehr haben die meisten Kolleg:innen selbst von Fachmedien offensichtlich nicht gelesen – denn diese Zeile tauchte vielfach on- und offline auf. Dabei hätte ein einziger mutiger Klick genügt, und sie hätten sich die genauen Analysen unverfälscht selber anschauen können. Und zwar sogar in verständlicher PDF-Version, anders als die undurchsichtige PIK-Pünktchendarstellung.

Denn siehe da: wer die Folie 12 genauer betrachtet, sieht, dass über die letzten Jahre das Interesse an Effizienz, Öko-Heizungen, Alternativ-Energie-Förderung immer mehr sinkt. Und auf Seite 11 ist unter anderem zu erkennen: Inzwischen wollen wieder mehr Leute wieder mehr Atomkraft und noch mehr Überland-Höchstspannungsleitungen – gerade bayerisch-konservative Politiker tun das ja auch.

Übrigens: Wer bei der Forschungsorganisation RWI an einen rheinischen Energieriesen denkt, liegt völlig daneben! Das Sozioökologische Panel wird nämlich nicht von RWE finanziert, sondern „gefördert durch die Eon-Stiftung“.