
Ein Bericht von Heinz Wraneschitz
„Natürlicher Wasserstoff wie Wasserstoffgas, die Energie der Zukunft, lieferte in der Vergangenheit, am Ursprung des Lebens vor vier Milliarden Jahren, Energie.“ Klingt wie ein Märchen. Soll es womöglich davon ablenken, dass wir heute massiv Erneuerbare Energien ausbauen müssen, um künftig Elektrizität für Wärme, Verkehr und den bisher bereits vorhandenen und weiter steigenden Stromverbrauch bereitzustellen?
Jedenfalls ist Fakt, dass Wissenschaftler:innen der Heine-Uni-Düsseldorf und vom Max-Planck-Institut Marburg eine aktuelle Studie veröffentlicht haben, in der zu lesen ist: „H2 ist ein guter Brennstoff, seit es Leben auf der Erde gibt. Er ist eine uralte Energie. Die allerersten Zellen auf der Erde lebten von H2, das in hydrothermalen Schloten produziert wurde, und nutzten die Reaktion von H2 mit CO2, um die Moleküle des Lebens herzustellen.“ Die Studienmacher:innen schreiben fast schwärmerisch davon, dass „Mikroben durch die Reaktion dieser beiden Gase gedeihen. Sie können in völliger Dunkelheit leben und unheimliche, ursprüngliche Lebensräume wie hydrothermale Schlote in der Tiefsee oder heiße Gesteinsformationen tief in der Erdkruste bewohnen.“ Märchenhafte, oder wie es in einer Presseinfo heißt „überraschende neue Erkenntnisse darüber, wie die ersten Zellen auf der Erde dazu kamen, H2 als Energiequelle zu nutzen“.
Ja, Wasserstoff ist in. Und natürlicher noch mehr. Denn gäbe es diesen in ausreichender Menge, dann könnten wir uns womöglich fast alle Anstrengungen des Ausbaus von Wind-, Sonne-, Bio- oder Geo-Energien ersparen: Die Verbrennung von Wasserstoff erzeugt nur Wasser, aber kein klimaschädliches CO2. Und so schwärmt auch der Dachverband der Geowissenschaften (DGW) inzwischen von „Entwicklungen, die gezeigt haben, dass der Planet Erde große Mengen an natürlichem Wasserstoff produziert und emittiert. Diese Mengen sind vergleichbar mit der gegenwärtigen, globalen, grauen Wasserstoffproduktion – oder vielleicht sogar um ein Vielfaches größer.“ Dahinter wiederum stecken womöglich große Eigeninteressen. Denn der DGW gibt selbst zu, es sei noch einiges „notwendig, um Entwicklungen zu beschleunigen.“ Wahrscheinlich meint der Verband damit finanzielle Fördermittel für die Geowissenschaftler:innen. Doch Genaueres will der DGW bei seinem nächsten „GeoTalk“ verlauten, wo „Hintergründe erläutert“, der „mögliche Einfluss von natürlichem Wasserstoff (nH2) auf den Energiemix der Zukunft“ und ganz „konkret gezeigt wird, wie und wo danach exploriert“, also gebohrt wird. Denn der nH2 wird meist tief in der Erde vermutet.
Bislang ist wenig darüber bekannt, in wie vielen Jahrzehnten oder Jahrhunderten diese versprochenen riesigen Mengen nH2 tatsächlich zur Nutzung bereitstehen könnten. Dennoch spricht der Marburger Forscher William F. Martin bereits jetzt davon, dass man „einen Prozess identifiziert hat, der einfacher nicht sein könnte und der unter den natürlichen Bedingungen der Hydrothermalquellen funktioniert“. Und der Lebens-Ursprungs-Studien-Mitautor Harun Tüysüz ergänzt mit Blick auf die vielen Prozesse in der chemischen Industrie, die H2 nutzen, um während der Reaktion Metalle aus Mineralien zu machen: „Überraschend ist, dass dies auch in der Natur geschieht, vor allem an hydrothermalen Schloten.“
Kann das so natürlich erzeugte H2-Gas also womöglich praktisch in der Industrie genutzt werden? So schnell und einfach dürfte das wohl nicht gelingen. Denn sonst würden sich andere Wissenschaftler:innen sicher nicht damit abquälen, sich über „Umwelt- und Sozialstandards während der Produktion“ Gedanken zu machen, oder über „darüber hinaus gehende, essentielle Nachhaltigkeitskriterien“. Das aber haben jüngst Forschende des Wuppertal Instituts getan: Im Auftrag von Brot für die Welt und der Heinrich-Böll-Stiftung haben sie die Kurzstudie „Politische Instrumente zur Gewährleistung der Nachhaltigkeit von Wasserstoffimporten“ erstellt. Und darin fordern sie – was sowohl auf die Nutzung von möglicherweise vorhandenem nH2 wie für auf die Produktion von Wasserstoff in sonnenreichen Ländern anzuwenden wäre – „für alle Wasserstoffimporte nach Europa den Nachweis, dass der H2 klimaneutral hergestellt wurde. Das bietet die Möglichkeit – neben der CO2-Zertifizierung – weitere Anforderungen zu formulieren und zertifizieren zu lassen, sodass importierter Wasserstoff nicht nur grün, sondern auch nachweislich sozial und umweltverträglich ist“, so Timon Wehnert vom Wuppertal-Institut.
Lieferketten und Wasserstoff – passt das zusammen?
Passend dazu hat die EU ja erst Mitte März das Lieferkettengesetz beschlossen, wenn auch wegen deutscher, besser FDP-Wirtschafts-Bedenken, in ziemlich abgeschwächter Form. Diese Lieferketten-Vorgabe möchte Lara Obst, Mit-Gründerin von The Climate Choice unbedingt auch „bei Klimamanagementmaßnahmen umsetzen. Auch über die Grenzen der EU hinaus. Die Notwendigkeit von Klimamaßnahmen macht weder vor der Haustür eines Unternehmens noch an internationalen Grenzen halt. Gerade in Asien gibt es viel zu tun und oft eine große Bereitschaft, sich zu engagieren“, nimmt Obst die europäische Wirtschaft in die Verantwortung.
Vor Nachlässigkeit beim EU-Lieferkettengesetz warnen auch andere Wirtschaftskreise, zum Beispiel der IT-Management-Fachmann Matthias Hess. Er fordert, auch kleinere Unternehmen, an denen „der ganz große Kelch zunächst vorübergegangen zu sein scheint, sollten nicht in den Entspannungsmodus schalten“, sondern nach „einfachen technischen Lösungen suchen, um die eigenen Lieferketten systematisch zu organisieren, Sozial- und Umweltstandards einzuhalten und die komplexen Dokumentationspflichten zu meistern“.
Wasserstoff muss nachhaltig sein
Inzwischen haben außerdem die Verbände DIN, DKE und VDI in einem „Impulspapier“ beschrieben, wie dank der „Circular Economy Wasserstofftechnologien nachhaltiger“ werden können. Gerade die Wiederverwertung kritischer Rohstoffe ist den Autor:innen ein Anliegen: Durch geschlossene Wertschöpfungskreisläufe lasse sich eine stabilere Rohstoffversorgung erreichen. DKE-Koordinator Tim Brückmann betont: Gerade weil sich „die Ansätze der Circular Economy für die Arbeit an Wasserstofftechnologien in einem sehr frühen Stadium“ befänden, berge dies „große Chancen, … dass die Aktualisierung von Normen in einem schnellen Entwicklungszyklus geleistet wird“.
Doch ebenfalls gleichgültig, ob natürlicher oder mit Ökoenergien produzierter „Grüner“ Wasserstoff: Bis heute gibt es Probleme, diesen flüchtigen Gas-Energieträger messtechnisch sicher zu begleiten. „Zur Etablierung der Wasserstoffwirtschaft in Europa ist zur Erzeugung, Transport, Speicherung und Verwendung von Wasserstoff erweiterte messtechnische Expertise notwendig“, heißt es vom Center for Applied Energy Research e.V. (CAE) in Würzburg. Aber genau „diese wird benötigt, um einen sicheren Betrieb der Wasserstoffinfrastruktur und eine zuverlässige und genaue Abrechnung des Energieträgers Wasserstoffs zu gewährleisten“. Deshalb läuft- unter anderem in Verantwortung des CAE – aktuell das „Met4H2-Projekt. Damit erarbeiten wir gemeinsam ein solides messtechnisches Fundament für die Wasserstoffwirtschaft der Zukunft“, so der dafür zuständige CAE-Wissenschaftler Frank Lotter.
Kommentar von DGS-News-Autor Heinz Wraneschitz
All diese parallel laufenden Projekte zeigen vor allem: Es fließt viel Geld in die Wasserstoff-Forschung und -Wirtschaft. Doch von einem klaren Zeithorizont ist nirgends die Rede. Also heißt es weiter: Ausbau von Erneuerbaren Energien, bevor all die Versprechungen von Grünem oder Natürlichem Wasserstoff wie Seifenblasen platzen.