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Heinz Wraneschitz

Green Deal und Clean Industrial Deal der EU: Soll man Angst haben oder jubeln?

Sonnen-Auf- oder Untergang für den EU-Clean Deal? [Foto: Heinz Wraneschitz]

Eine Momentaufnahme von Heinz Wraneschitz

Für Luisa Neubauer ist „der Green Deal ein tolles Zeichen für Wandel. Ich bin demütig, wie dieser Wandel funktioniert“, sagte die deutsche Vorzeigefrau der Klimabewegung Fridays for Future (FfF) vergangene Woche im Rahmen der Online-Konferenz „Green Deal in Gefahr“.

Aus Neubauers Sicht ist es „atemberaubend, was erreicht werden kann und worden ist“, seit die EU-Kommission die Devise ausgegeben hat, Europa bis spätestens 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent dieser Erde zu machen. Doch wie steht es um den optimistischen Anspruch der FfF-Frau „es geht noch mehr“ nach der am Mittwoch (26. Februar 2025) in vielen Punkten zu einem „Clean Industrial Deal“ mutierten, ja gar darauf reduzierten Klimaoffensive der Europäischen Kommission unter der Führung von Ex-„Flinten-Uschi“ Ursula von der Leyen (CDU)? Auf jeden Fall steht für Luisa Neubauer fest: „Dieses Gemeinschaftswerk Green Deal (GD), dieses Wunderwerk braucht Unterstützung. Auch wenn wir immer gesagt haben, es gibt immer noch mehr: Auf in den Kampf! Denn der GD das ist das Beste, was wir momentan im Angebot haben.“

Michael Bloss, Grüner Europaabgeordneter, Initiator des Webinars und Mitverhandler der Europäischen Klimagesetzgebung, fordert ebenfalls vor allem die Zivilgesellschaft auf: „Wir müssen den GD verteidigen. Wenn Europa ausfällt, verteidigen nicht mehr viele die Weltklimaziele.“ Die wurden bekanntlich in den Pariser Klimaverträgen vom Dezember 2015 festgelegt. Am Bekanntesten ist sicher die Forderung, durch weniger Treibhausgasausstoß die Atmosphärentemperatur auf maximal 1,5 Grad gegenüber der Temperator vor der sogenannten „industriellen Revolution“ zu begrenzen – eine inzwischen nicht mehr realistische Marke.

Wenn der Omnibus kommt…

Doch warum sorgen sich Umweltaktive wie Neubauer, Bloss und Menschen aus zukunftsorientierten Organisationen gerade jetzt so um den einst in weiten Kreisen akzeptierten „Green Deal“? Der Grund ist besagte, am Mittwoch dieser Woche veröffentlichte „Omnibus-Verordnung zur Entbürokratisierung der Nachhaltigkeitsberichts- und Aufsichtspflichten für Unternehmen“ der EU-Kommission.

„Ich hätte nicht gedacht, dass wir ein halbes Jahr nach dem Lieferkettengesetz hier sitzen und schon wieder drüber reden.“ Anna Cavazzini, ebenfalls Grüne Europaabgeordnete, wirkte letzte Woche ziemlich frustriert. Denn für sie ist das „Bürokratieabbau nur ein Codename. Denn Bürokratie ist dasselbe wie Regulierung, und Regulierung ist wichtig. Die Änderung am Lieferkettengesetz ist dabei nur der erste Schritt. Konservative und Rechte wollen den GD noch weiter entkernen“, sagte sie bereits voraus.

Für Cavazzini ist das EU-Lieferkettengesetz gleichbedeutend mit „Menschenrechten und Unternehmensverantwortung. Der GD ist auch dafür da, Unternehmen stärker in die Verantwortung zu nehmen. Deshalb gibt es Sorgfaltsprüfungen, damit keine Menschen- und Umweltverbrechen passieren.“

Jutta Paulus, die dritte Grüne bei besagter Online-Konferenz und Naturschutz- und Umweltsprecherin im EU-Parlament, nennt den Green Deal „ein Gesetz zur Rettung der Natur. Die Natur braucht ausreichend Raum, um uns zu schützen. Denn wir brauchen sauberes Grundwasser genauso wie saubere Atemluft. Doch diese Themen waren und sind bei von der Leyen unter ferner liefen.“ Als Beispiel erwähnte sie, dass bei einem Drittel der Jugendlichen in Europa der Grenzwert der „Ewigkeitschemikalien“ PFAS im Blut überschritten sei. „Durch die so genannte Vereinfachung des Green Deal wird das noch schlechter werden“, sagte Paulus bereits voraus.

Dabei wird nach Kenntnis der EU-Parlamentarier:innen der Green Deal von vielen Firmen durchaus positiv gesehen. „Doch vor allem die Verbände bremsen“, kritisierte Cavazzini, „die Unternehmen werden gar nicht gehört“ in der Kommission, sondern die Lobbyisten.

Alles wieder offen beim Green Deal?

Und diese Verbände haben augenscheinlich nun erreicht, dass 140 EU-Gesetze wieder geöffnet wurden. „Ja, wir müssen undemokratische Regeln abbauen, aber nicht Schutznormen. Alle müssen die Chance haben, die Transformation mitzugehen“, benannte der Ex-MdEP und zeitweise Staatssekretär im Klimaschutzministerium BMWK Sven Giegold den Unterschied zwischen Notwendigkeit und Faktenlage.

Doch offensichtlich sind durch die Kommissions-Omnibus-Veröffentlichung mehr Unklarheiten entstanden, als sie dank der vorherigen Green-Deal-Regularien vorhanden waren. Denn seit Mittwoch kommen völlig unterschiedliche Presseinfos in den Mailboxen der Journalist:innen an. Hier nur ein paar Beispiele:

Die EU-Kommission will offiziell die Strom-Netzentgelte senken, damit vor allem die energieintensive Industrie billiger produzieren kann. Doch der Energiekonzern Eon fordert im Gegenteil sogar höhere Netzrenditen. Passend dazu plädiert der Stadtwerke-Verbund Thüga darauf, bei der „Entfesselung der Energiewirtschaft die Verteilnetzbetreiber nicht zu vergessen“.

Der TÜV-Verband sieht in der „Omnibus-Verordnung eine Aufweichung der mit den Nachhaltigkeitsregulierungen ursprünglich gesteckten Ziele mehr Klimaschutz und weniger Menschenrechtsverletzungen. Die vorgeschlagenen Änderungen schießen weit über das Ziel hinaus.“ Dagegen nennt ausgerechnet der Bundesverband Erneuerbare Energien BEE den Kommissionsvorschlag einen „wichtigen Schritt für Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit“.

Und nicht zuletzt haben einige Parlamentarier:innen eine Petition angeschoben mit dem Inhalt: „Rettet den Green Deal vor der Lobby der Verschmutzer“.