
Ein Bericht von Heinz Wraneschitz
Wasserstoff (H2), noch dazu „Grüner“, hergestellt mit Hilfe Erneuerbarer Energien: Ein Thema, das nicht mehr nur eine Art kritischer Dauerbrenner in den DGS-News ist. Nun hat sich sogar der Europäische Rechnungshof (EU-RH) in seinem „Sonderbericht Nr. 11: Die Industriepolitik der EU im Bereich erneuerbarer Wasserstoff“ zur Brust genommen. Darin bewerten die Prüfer:innen die aktuelle EU-Strategie für „Grünen Wasserstoff“ (GH2).
Und zwar als sehr mangelhaft. Den Bericht, veröffentlicht am 17. Juli, überschrieben mit „Vom Hype zur Wirklichkeit?“ muss man wohl als Abrechnung werten mit den Plänen der EU-Kommission für GH2. Beispielsweise „fehlen Normen und Zertifizierungssysteme“. Oder wie es EU-RH-Mitglied und Prüfungschef Stef Blok formulierte: „Es ist wichtig, endlich zu definieren, was überhaupt Erneuerbarer Wasserstoff ist.“
Grüner Wasserstoff ist für die Zukunft vieler Industrien wohl alternativlos. Beispielsweise in Stahlerzeugung, petrochemischer Industrie, Zement- oder Düngemittelproduktion ist die allgemein geforderte Elektrifizierung kaum möglich, kann also Grün-H2 zur CO₂-Neutralität beitragen. Das ist auch dem Prüfer:innen-Team um Stef Blok klar. Doch leider arbeite die Kommission „mit nicht konsistenten“, also oft widersprüchlichen Zahlen, hat der EU-RH festgestellt.
Wo nichts gebaut wird, wird auch nichts produziert
Das Blok-Team brandmarkt vor allem, dass die von der EU-Kommission genannten Produktions- und Nachfragemengen für Grün-H2 „nicht auf einer soliden Analyse beruhen, sondern von politischem Willen geleitet“ seien. So steht wörtlich im Bericht: „Der Rechnungshof stellte fest, dass das Produktionsziel von zehn Megatonnen (Mt) H2, das bis zu 140 Gigawatt (GW) an Elektrolyseurkapazität erfordern könnte, wahrscheinlich nicht erreicht wird.“ Zieljahr dabei: 2030, nur noch sechs Jahre also. Aber: „Die meisten Projekte, bei denen die Installation von Elektrolyseuren geplant ist, haben noch nicht begonnen, und angesichts der Vorlaufzeit besteht die Gefahr, dass dieser Übergangszeitraum nicht genutzt werden kann.“
Nicht zu vergessen: Der Bericht erwähnt, GH2 werde laut einiger öffentlicher Studien nicht wie immer wieder versprochen billiger, sondern teurer. Dabei ist GH2 bereits jetzt wesentlich teurer als andere alternative Energieformen. Woher der geplante Import von zehn Mt aus Ländern außerhalb der EU bis 2030 kommen und wie ein solches System finanziert werden könnte, steht ebenfalls in den Sternen: Es gibt „momentan keine umfassende EU-Strategie für solche Wasserstoffimporte“.
Bekannt ist: der Investitionsbedarf in Produktion und Infrastruktur ist enorm. „Aber die Kommission hat keinen vollständigen Überblick über diesen Bedarf oder die öffentlichen Mittel (nicht nur der EU, sondern auch der Mitgliedsstaaten; d.Red.), die zur Verfügung stehen“, verlautete Stef Blok in einer Online-Konferenz am Dienstag auf Nachfrage. Zudem seien die EU-Fördermittel auf verschiedene Programme verteilt. Kein Wunder also, wenn sich Industrievertreter beklagen, dass „die Mitgliedstaaten und die Kommission für das Anmelde- und Genehmigungsverfahren zu viel Zeit benötigen“.
Koordinierung durch Kommission gefordert
Auch deshalb komme es zum von vielen Seiten genannte „Henne-Ei-Problem“: Potenzielle Projektträger auf der Angebotsseite warten „in diesem im Entstehen begriffenen Markt darauf, dass sich die Nachfrage erhöht und umgekehrt“; würden also Investitionsentscheidungen aufgeschoben. „Die EU-Kommission muss hier endlich die Koordinationsrolle übernehmen“, forderte Blok.
Und dann fehle laut EU-RH auch noch das passende Fernleitungs- und Verteilnetz. Denn kurzfristige Stromspitzen aus regionaler Sonnen- oder Winderzeugung sind für die meisten Elektrolyseure schwer zu nutzen: Wenn sie über längere Zeit kontinuierlich arbeiten können, produzieren sie effektiv H2. Ein solches massiv ausgebautes Netz aber würde für die Stromkundschaft aber „eine erhebliche Belastung bedeuten“; das hatte die Kommission festgestellt. „Es besteht daher ein Konflikt zwischen dem Ziel der Energieeffizienz einerseits und der Förderung des Einsatzes von erneuerbarem Wasserstoff als Instrument zur Dekarbonisierung z. B. bei schwer zu dekarbonisierender Industrie“, steht passend dazu im Bericht.
Achja, fast vergessen: Den ebenfalls gehypten H2-Verkehrssektor haben die Prüfer:innen erst gar nicht untersucht: Sie sahen offensichtlich überhaupt keine Chance für Wasserstoff im Verkehr.
Hintergrund zum Bericht „Vom Hype zur Wirklichkeit?“
Für den Bericht hatte das Prüfungsteam bis Oktober 2023 stichprobenartig sieben Projekte in den vier Mitgliedstaaten Deutschland, Spanien, Niederlande, Polen „auf deren Wasserstoffstrategien, legislative und politische Dokumente, finanzielle Unterstützung usw. untersucht“. Bei der Auswahl habe der EU-RH „darauf geachtet, dass sowohl Vorreiter im Bereich erneuerbarer Wasserstoff als auch solche, die langsamer vorankommen“ darunter seien.
Befragt wurden Mitarbeiter:innen der Generaldirektionen der Kommission, der Europäischen Exekutivagentur für Klima, Infrastruktur und Umwelt sowie Vertreter:innen nationaler Ministerien und Einrichtungen, außerdem von Industrieverbänden auf EU- und nationaler Ebene, der Internationalen Energie-Agentur IEA sowie der „Allianz für sauberen Wasserstoff“.
Grundlage waren Politische Dokumente der EU zum Thema H2, darunter der Rechtsrahmen, Informationen über die verschiedenen EU-Förderprogramme, aber auch nationale Energie- und Klimapläne oder von verschiedenen Stellen veröffentlichte Berichte über das Wasserstoffökosystem.
Die im Bericht genutzten Daten stammen vor allem von der IEA und der EU- Kommission.
WRA