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Heinz Wraneschitz

Energieversorgung ist kein Rein-Raus-Spiel

Thematische Einordnung

Von hier wird Moldau-Wasser zur Kühlung der beiden Temelin-Atommeiler oben auf dem Berg gepumpt. [Foto: Heinz Wraneschitz bildtext.de]

Ein Atom-Kommentar von Heinz Wraneschitz

Seit dieser Woche hab ich wieder einen ganz dicken Hals. Und Angst dazu. Denn „mein“ fränkisch-bayerischer Ministerpräsident MP Markus Söder (CSU) hat schon wieder mal eine aus seiner Sicht brandneue Idee: Die Tschechen beim Kernkraftausbau unterstützen – mit unserem Steuergeld? – und Atomstrom aus dem Nachbarland importieren.

Der Blick zurück: Wirrungen.
Doch zunächst ein kleiner Rückblick auf Bayerns Energie“politik“ – oder sollte man besser sagen: auf deren Atom-Vabanque-Spiel?
Das begann bereits unter Söders Vorgänger Horst Seehofer. Der hatte einst den Spitznamen „Drehhofer“ bekommen, weil er seine Meinung gefühlt schneller ändern konnte, als sich ein Windrotor einmal dreht. Vielleicht hat er deshalb – übrigens gemeinsam mit dem damaligen „Heimatminister“ Söder – die Windkraft-verhindernde „10-H-Regelung“ erfunden? Mit zweifelhaftem Erfolg: Ohne genügend Windkraft ist Bayern inzwischen ein Strom-Importland.

Der in Bayern als „Maggus“ bekannte, aktuelle MP hat die Meinungswechselpolitik offensichtlich verinnerlicht und ist voll in Drehhofers Fußstapfen unterwegs. Besonders auffällig ist das beim Thema Atomkraft.

Falls sich Herr Söder nicht mehr erinnert, was er gestern, vor einem Jahr oder vor bzw. nach dem Atomunfall von Fukushima von sich gegeben hat, da kann ich gerne nachhelfen. Denn das Internet vergisst nichts.
2010: Söder will Kernkraftwerke massiv ausbauen.
2011: Söder droht mit Rücktritt, falls Merkel nicht sofort alle Atomkraftwerke abschaltet.
2011: Söder beschließt Atomausstieg Bayerns und fährt alle AKW herunter.
2011-2021: Söder und die Union in der GroKo fahren alle Kernkraftwerke bis auf drei herunter.
2021: Söder lehnt einen Wiedereinstieg in die Kernenergie ab: „Der Beschluss zum Atomausstieg basiert auf einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz.“
2022: Kanzler Olaf Scholz (SPD) verlängert die Laufzeiten der letzten drei Kernkraftwerke bis April 2023.
2023: Söder „beharrt auf Rückkehr zur Atomkraft“ – auch wenn die Konzerne das komplett ablehnen.
2024: Söder fordert die sofortige Aufhebung des Atomausstiegs und macht die Grünen für den Ausstieg verantwortlich.

Der Blick voraus: Angst!
Soweit die jüngere Atomgeschichte Bayerns. Doch obwohl die eigentlich zu Ende sein könnte – bis auf solche Kleinigkeiten wie Zwischenlager in Grafenrheinfeld oder Ohu, oder die fehlende Antwort auf ein sicheres Endlager: „Meinem“ MP fällt wieder mal etwas ein, was ihm Schlagzeilen einbringt. Womöglich ist er beunruhigt, weil seine von wem auch immer finanzierte „#söderisst“-Kampagne nicht mehr so viele Klicks bringt wie vor ein paar Monaten. Nun also holt er das Atomgespenst wieder aus dem (Haiger-)Loch. Oder besser gesagt: Er will Grundlast-Atomstrom aus Tschechien importieren.

Dazu bräuchte es aber erst einmal neue Atomkraftwerke. Wenn die überhaupt finanzierbar sind, dann nur, weil die EU dafür Milliarden spendiert – und so auch unser Steuergeld in diese anachronistische Technologie fließen soll. Das passt natürlich zu Herrn Söders Selbst-PR-Plan: Zwei der neuen Kernkraftwerke in Tschechien sollen ja nun auch in Temelin entstehen, nur einige Dutzend Kilometer von Bayerns Ostgrenze entfernt. Seine Atom-Reise ins Nachbarland jazzt ihn in allen Print-, Rundfunk- und Online-Medien hoch. Aber wer schon einmal in Temelin war, weiß nicht nur von womöglich gefährlichen Schweißnähten. Mindestens genauso kritisch: Schon die beiden aktuellen Meiler stehen auf einem Berg; das Kühlwasser muss aus dem Tal von der Moldau hochgepumpt werden. Bei einem Stromausfall mit nachfolgendem Ende der Kühlmittelversorgung droht – ein Naturumlauf. „Das Schlimmste wurde nicht bedacht“, schrieb ich damals, als der Naturumlauf-GAU in Fukushima passierte, weil ein Tsunami die Stromversorgung kappte. Und in Temelin? Da kann heute schon die Kühlwasserversorgung zweier Meiler auf einen (An-)Schlag ausfallen. Was passiert aber erst dann, wenn gleich vier Reaktoren auf dem Berg kein Kühlwasser mehr haben?

Lange, um viele Ecken geplant?
Doch vielleicht ist ja Markus Söders Atompolitik schon länger geplant, als man zu zunächst denkt. Bekanntlich zielt PR darauf ab, immer im Gespräch zu bleiben. Genau das schafft Bayerns MP durch seine Atom-Rein-Raus-Aussagen seit über einem Jahrzehnt. Ähnlich ist es mit seiner Bäumchen-wechsel-Dich-Politik beim Stromnetzausbau. Ob es nun um Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ) oder Drehstromleitungen geht: zuerst brauchte man sie laut Staatsregierung gar nicht, wollte sie verhindern; dann sollten sie unterirdisch verlegt werden – und am Ende werden sie doch wieder als Leitungen an hohen Masten gebaut. Ob sinnvoll oder nicht, das hängt also von der Tagesform der Politik ab.

Wenn selbst die Bundesnetzagentur BNetzA bestätigt: Durch den Ausbau der Übertragungsleitungen werde nicht nur die europäische Vernetzung gestärkt, sondern zwangsläufig auch Atomstrom durchfließen: Man könnte das Gefühl bekommen, Söder und Co haben womöglich schon vor Jahren darauf spekuliert, dass der verstärkte Ostbayernring oder die Juraleitung (neu) nicht wie vom Betreiber Tennet behauptet, Solar- oder Windstrom durch Bayern leiten sollen, sondern genau diesen von Söder erhofften tschechischen Atomstrom? Denn – wiederum laut BNetzA: Bayern und Deutschland seien keine Inseln, und der transportierte (Atom-)Strom ändere sich nicht an Landesgrenzen.

Und noch eines: Auch ohne die noch offenen Hunderte Milliarden Euro, die ein Endlager wohl irgendwann einmal im 22. Jahrhundert unseren Nachfolgegenerationen kosten wird, ist Atomstrom nicht „günstig“ wie uns Herr Söder durch ständige Wiederholungen eintrichtern will. Atomstrom ist sogar sehr teuer. Diese Feststellung wiederum stammt nicht von mir, sondern von Wirtschaftswissenschaftler:innen, die das wissen, weil sie rechnen können. Doch in Zeiten von Fake News und Politik-Populismus sind die Stimmen von Fachleuten kaum mehr wahrzunehmen.

Schwarz-Grüne Doppelmoral
Achja, fast hätte ich es vergessen. Vor eineinhalb Jahren hat Dr. jur. Söder via „X“ die Grünen genau dafür kritisiert, was er jetzt selber fordert: „Aus der Kernkraft aussteigen und gleichzeitig Atomstrom aus dem Ausland importieren – das ist grüne Doppelmoral.“ Oder doch eher eine schwarze?

Ich habe jedenfalls Angst! Vor populistischen Politikern wie Markus Söder. Und vor Atomkraft.