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Heinz Wraneschitz

Energiebewusstsein weit verbreitet – doch nicht das Selber-Tun

So sieht das Deckblatt der Projektbeschreibung aus

Ein Bericht von Heinz Wraneschitz

Und da sage noch jemand, alle Europäer:innen denken nur sich und ans Heute: Immerhin 70 Prozent der Menschen in 19 Ländern Europas „stimmten der Aussage zu, dass die Energiewende Aufgabe aller ist und sich daher alle Bürger:innen aktiv einbringen sollten“. Das jedenfalls wird als ein wesentliches Ergebnis einer repräsentativen europaweiten Umfrage mit 10.071 Teilnehmenden genannt, die nun veröffentlicht wurde – bislang nur auf Englisch.  Zwar sei „die Hauptmotivation der Wunsch, die Energiekosten zu senken. Doch auch Umweltbelange sind für viele wichtige Beweggründe“, heißt es in einer Presseinformation der Technischen Universität (TU) Berlin.

Deren Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG) war der deutsche Teil des internationalen Forscher:innen-Konsortiums, welches das Projekt „EnergyPROSPECTS“, zwischen 2021 und Jahresbeginn 2024 durchführte. Insgesamt waren neun Forschungspartner aus Irland, Belgien, Ungarn, den Niederlanden, Bulgarien, Frankreich, Lettland, Deutschland und Spanien beteiligt, Universitäten und Forschungseinrichtungen genauso wie Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen.
EnergyPROSPECTS heißt ausgeschrieben „PROactive Strategies and Policies for Energy Citizenship Transformation“. In dem Projekt geht es um die von den Trägern so genannte „Energiebürgerschaft, das bürgerschaftliche Engagement für die Energiewende“, welches wiederum „auf den neuesten Erkenntnissen der Sozial- und Geisteswissenschaften basiert“, wie verlautet wird.

Doch besagte 70 Prozent Zustimmende zum Bürger-Engagement für die Energiewende gab es beileibe nicht überall – und auch einzelne Maßnahmen werden über die Länder verteilt sehr unterschiedlich akzeptiert. So ist es beileibe kein Wunder, dass laut den Studienergebnissen„Ökostrom in Deutschland eine längere Tradition und höhere Akzeptanz“ hat: Wurde doch hier im Jahre 2000 das erste Erneuerbare-Energien-Gesetz der Welt geschaffen, das erst im Lauf der Jahre auch anderswo ganz oder in Teilen übernommen wurde.

Insgesamt stand deshalb in der Beliebtheit der konkreten Energiebewusstseins-Antworten ganz vorne: „Das Energiesparen. Mehr als 60 Prozent gaben an, dass sie ihren Energieverbrauch in den vergangenen Jahren wegen der Energiekrise gesenkt haben, was sich vor allem in geringeren Raumtemperaturen, einem bewussteren Umgang mit Haushaltsgeräten, aber auch einer stärkeren Nutzung umweltfreundlicher Mobilitätsoptionen – also Laufen, Nutzung des Fahrrads oder öffentlicher Nahverkehr – niederschlägt. Die Hauptmotivation hierfür ist der Wunsch, die Energiekosten zu senken, jedoch auch Umweltbelange sind für viele wichtige Beweggründe“, heißt es von Seiten der TU Berlin.

Ergebnisse nur auf den ersten Blick zukunftsorientiert
Aber dann geht’s auch schon massiv runter mit dem persönlichen Einsatz: Außer privat Energie zu sparen passiert bei den meisten Europäer:innen offensichtlich recht wenig. Noch immerhin 36,5 Prozent wollen ihr Eigenheim energiebewusst renovieren. Doch gerade mal 31,6 Prozent der Befragten beziehen Ökostrom – dabei gibt’s den heute oft zu gleichen Konditionen wie fossil erzeugten. Und in die Produktion von Erneuerbarer Energie investieren wollen nochmal viel weniger: Eine Solaranlage auf dem eigenen Dach planen gerade mal 15,5 Prozent, Anteile zum Beispiel von Energiegenossenschaften kaufen wollen gar nur sechs Prozent. Jedoch auch hier „zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen Deutschland und den anderen 18 europäischen Ländern. 45,1 Prozent der Befragten in Deutschland gaben an, Ökostrom zu beziehen, also weit mehr als in den anderen europäischen Ländern. Hinsichtlich der energiebewussten Umrüstung des Eigenheims waren es aber nur 16 Prozent, die das getan hatten“ – also weit weniger als anderswo. Prof. Martina Schäfer, die Leiterin des Gemeinschaftsprojekts am ZTG, erklärt das so: „Dass die energiebewusste Sanierung des Eigenheims bei den deutschen Befragten so gering ist, hat seine Ursache darin, dass in Deutschland mehr Menschen zur Miete wohnen und weniger Wohneigentum besitzen.“

Gleichzeitig sehen die Bürger:innen nicht die Chancen des eigenen Engagements, sondern jammern lieber. Vor allem über die erwartet steigenden Energiepreise: „Die Teilnehmer:innen der Umfrage sehen pessimistisch in die nahe Zukunft: Über die Hälfte geht davon aus, dass sie im Jahr 2030 mehr für Energie bezahlen werden“, sagt Ariane Debourdeau vom ZTG. Glaubt man ihr und den anderen Forschenden, dann wollen die Menschen sichtlich zur Energiewende getragen werden: „43 Prozent sind der Meinung, dass die Energiewende zu langsam vorangeht“, so Debourdeau. Dafür sehen sich die Leute aber nicht selbst in der Pflicht, sondern sind „sehr unzufrieden mit der Arbeit der verantwortlichen Institutionen auf europäischer, nationaler und lokaler Ebene“. Damit sind sowohl Behörden, Energieversorger wie die Wirtschaft gemeint. „Nur die Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen und der Wissenschaft werden positiver eingeschätzt. Der Politik sollte es zu denken geben, dass über zwei Drittel der Meinung sind, dass die Ansichten und Ideen von Bürger:innen nicht ernst genommen werden“, meint die Forscherin.

Deshalb hat das EnergyPROSPECTS-Team für die – aus Sicht der Befragten – Verantwortlichen aus der Politik einige Empfehlungen zusammengestellt: „Maßgeschneiderte finanzielle Fördermaßnahmen und weniger Bürokratie sowie die Unterstützung von Menschen, die von Energiearmut betroffen sind, werden als notwendig angegeben, um das Engagement für die Energiewende zu fördern. Entscheidend ist auch, die Bedenken hinsichtlich der wahrgenommenen Auswirkungen und Kosten der Energiewende auszuräumen.“ Mit einem „Policy Paper“ (auch nur auf Englisch) sollen „Entscheidungsträger:innen auf nationaler und europäischer Ebene erreicht werden, um die europäischen Bemühungen hin zu einer nachhaltigen und integrativen Energielandschaft zu unterstützen“.

Fazit
Auch 70-Prozent-Jubelergebnisse sind also nur halbe, wenn nicht gar Zehntel-Wahrheiten. Selbst die Forscherin Ariane Debourdeau selbst spricht deshalb von „Pessimismus“ im Hinblick auf das so dringend notwendige bürgerschaftliche Engagement bei der Energiewende.