
Ein Bericht von Heinz Wraneschitz
Für Christoph Schmitz ist „Energie unser Zukunftsthema“. Kein Wunder. Denn Christoph Schmitz ist der in der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di für Energiethemen zuständige Fachbereichsleiter.
Und deshalb ist er auch auf der ver.di-Online-Veranstaltung „Nutzt die Sonne auf dem Dach?! Wie kommen wir weltweit zu einer sicheren und nachhaltigen Energieversorgung?“ einer von zwei Referenten.
Glaubt man verschiedensten Studien, dann sollen auf dem Weg zu einem klimaneutralen Deutschland allein bis 2035 800.000 Arbeitsplätze im Bereich der Erneuerbaren Energien (EE) entstehen. Heute schon, so Schmitz, habe die Bertelsmann-Stiftung in einer Analyse festgestellt: „Die Stellenanzeigen in diesem Arbeitsfeld nehmen wahnsinnig zu.“ Gleichzeitig herrscht allüberall Fachkräftemangel: „Wie also können wir die EE schon bis 2030 verdreifachen, wie in Regierungsplänen vorgesehen?“ fragt der Gewerkschafter.
Fakt ist für Schmitz jedenfalls: „Ohne Menschen geht es nicht. Die Beschäftigten sind die zentralen Akteure für die Energiewende“, nicht die Pläne verkündenden Politiker:innen oder Manager:innen. Und deshalb gelte es, „die Arbeitnehmer:innen-Rechte auch in den neuen Energiesektoren zu sichern“. In den hier oft neu entstehenden und schnell expandierenden Betrieben scheinen sie sich nicht so leicht etablieren zu können; ähnliches war zu Zeiten des IT-Booms vor zwei Jahrzehnten zu bemerken, wo die Mitarbeitenden oft zu spät bemerkten, dass hohes Gehalt nicht das Einzige ist, was einen guten Job ausmacht. In der „alten“ Energiewirtschaft dagegen sind DGB-Gewerkschaften wie IG Metall, IG B-A-U oder eben ver.di seit langer Zeit für die Belegschaften schwer aktiv, etabliert und als Partner geschätzt.
Handbuch für den Arbeits- und Energiewandel
Als wichtige Grundlage für die Durchsetzung von Arbeitnehmer:innenrechten in der „Neuen Energiewelt“ sieht Andreas Stamm die „ILO Guidelines for a just transition towards environmentally sustainable economies and societies for all“. Die ILO, die International Labour Organisation der UNO, stellt in diesem „Benutzerhandbuch“ klar: „Arbeitnehmerorganisationen sind keine passiven Zuschauer, sondern Akteure des Wandels. Sie sind in der Lage, neue Wege zur Nachhaltigkeit zu entwickeln. Und sie stellen sicher, dass ein solcher Übergang nicht nur die klimapolitischen Ziele erreicht, sondern auch die umfassenderen Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung und der menschenwürdigen Arbeit einbezieht.“ Die ILO wolle damit „Arbeitnehmerorganisationen ermutigen und dabei unterstützen, sich auf allen Ebenen in politische Diskussionen zur Gestaltung eines gerechten Übergangs einzubringen“. Das sei gerade bei der Umsetzung der national festgelegten Beiträge des Pariser Klimaschutz-Abkommens wichtig, so die UN-Organisation.
Andreas Stamm war der zweite Referent der ver.di-Veranstaltung. Er ist Projektleiter und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am IDOS, dem „German Institute of Development and Sustainability“, das sich selbst „zu den führenden Forschungsinstituten und Think-Tanks zu Fragen globaler nachhaltiger Entwicklung“ zählt. In seinem Vortrag hebt der Wissenschaftler besonders heraus: „In der Präambel des Pariser Klimaabkommen wird ausdrücklich die Schaffung menschenwürdiger Arbeit und hochwertiger Arbeitsplätze genannt.“
Konkret heißt es dort, dass die Paris-Vertragsparteien auch „unter Berücksichtigung der zwingenden Notwendigkeit eines gerechten Strukturwandels für die arbeitende Bevölkerung und der Schaffung menschenwürdiger Arbeit und hochwertiger Arbeitsplätze im Einklang mit den national festgelegten Entwicklungsprioritäten“ das 2-Grad-Ziel der Welt-Temperaturerhöhung einhalten wollen.
Kritik an Verträgen mit unterversorgten Ländern
Doch wie soll das gehen, fragt Andreas Stamm, wenn die zum Beispiel die Bundesregierung mit Costa Rica, Algerien oder Tunesien als potenziellen Wasserstoff-(H2)-Exportländern Verträge aushandelt, dort aber hohe Jugendarbeitslosigkeit herrsche, und ganz nebenbei Energieknappheit für die eigene Bevölkerung? Er schlägt stattdessen Energiepartnerschaften dort vor, „wo viel Energie vorhanden ist, nicht aber in energiearmen Ländern“. Hier sei es wichtiges Thema der Entwicklungszusammenarbeit, denen dabei zu helfen, „zuerst die eigene Bevölkerung zu versorgen“.
In anderen Ländern, wo heute noch viele Jobs von der Kohle abhängen – Stamm zählte hier 113.000 in Südafrika, 35.000 in Kolumbien oder gar 3,6 Mio. in Indien auf – sollten Weiterbildungsmaßnahmen, die Definition neuer Berufsbilder oder die hiesigen Erfahrungen aus dem Wandel von Kohlerevieren beim Umstieg auf EE helfen. Daraus könnte dann EE-Export entstehen – wann genau, sagte er nicht.
Doch Andreas Stamm wagte zumindest einen Ausblick auf die (auch vom Autor dieses Beitrags kritisierten, siehe hier) wasserstoffreichen Ampelpläne: Der Import von einer Mio. t Grünen H2s bis 2030 sei „nicht darstellbar. Deshalb hat das grüne Energieministerium die Türen weit aufgemacht für Blauen Wasserstoff“, also der Erzeugung von H2 aus Erdgas und der unterirdischen Speicherung des entstehenden CO2. Und der Wissenschaftler stellte auch klar: „Es geht um Riesenmengen. Und um Kosten: Das Vierfache wird nicht bezahlt.“ Sprich: Die H2-Regierungspläne stehen nach Stamms Einschätzung auf ziemlich tönernen Füßen.
Deutsche Wandel-Erfahrungen exportieren?
Südafrika ist auch für Christoph Schmitz ein gutes Beispiel: „Das Land ist heute nicht nur Kohleexporteur, sondern auch zu 80% selbst abhängig von Kohle. Deshalb muss das große Potenzial von Sonne und Wind dort gemeinsam vorangetrieben werden.“ Südafrika sei auf die Umstellung der Energieversorgung nicht vorbereitet. Eine Umstellung von heute auf morgen „gefährdet die Lebensqualität der Bevölkerung, es braucht also Übergangspfade“ beim Ablösen der Abhängigkeit von Fossilenergien.
Nicht nur Entwicklungshilfe, sondern Zusammenarbeit sei das Gebot der Stunde „und eine sozial gerechte Energiewende“. Dazu gehöre auch die passende Standortpolitik: Hier in Deutschland genauso wie in den Partnerländern „müssen dabei nicht nur wissenschaftliche, sondern auch gewerbliche neue Arbeitsplätze entstehen. Und die Kosten der Energiewende müssen sozialgerecht verteilt werden.“ Die deutsche Außenpolitik habe diese Ziele bereits formuliert.
Für ver.di-Vorstandsmitglied Schmitz jedenfalls ist die Lösung nur möglich, „wenn die Gewerkschaften eingebunden werden in diese internationalen Partnerschaften“. Er setzt offensichtlich ganz stark darauf, dass besagte ILO-Guidelines nicht nur bedrucktes Papier sind, sondern auch von Politik und Wirtschaft beachtet werden bei der Umstellung der Energieversorgung von Fossil auf Erneuerbar.