Thematische Einordnung

Ein studienuntermauerter Meinungsbeitrag von Heinz Wraneschitz
Sind wir tatsächlich „Auf dem Weg zu einem möglichen Kernfusionskraftwerk“? Gerade konservative – also die Schöpfung zu bewahren versprechende – Politiker:innen schwärmen geradezu von den Möglichkeiten, Atomkerne zu verschmelzen und die dabei frei werdende Energie in Strom zu verwandeln. Sie wollen also in gewisser Weise das imitieren, was die Sonne seit Jahrmilliarden vormacht. Doch ein brandaktuelles 91-Seiten-Papier mit genau diesem oben genannten Titel deckt nun „Wissenslücken und Forschungsbedarfe aus Sicht der Technikfolgenabschätzung“ unverblümt auf.
„Wenn das damit verbundene unternehmerische Risiko nicht durch die öffentliche Hand abgemildert wird, werden Investitionen in Fusionskraftwerke in liberalisierten Energiemärkten schwer zu realisieren sein.“ Mit diesem Satz entlarvt Reinhard Grünwald vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) nicht nur den aktuellen, sondern auch den sicher noch lange währenden Zustand der Fusionskraftwerksforschung. Und zwar nicht nur in Deutschland oder Europa, sondern auf der ganzen Welt.
Man könnte es aber auch etwas schlagzeilenträchtiger schreiben: Fusionskraftwerke würden ein dauernder Zuschussbetrieb bleiben. Wenn denn jemals wirklich funktionierende Anlagen vorhanden sein werden. Doch schon besagter Titel „Auf dem Weg zu einem möglichen Kernfusionskraftwerk“ zeigt: das TAB versucht eher, mit den tatsächlichen – weil alle Euphorie als fehl am Platze entlarvenden – Ergebnissen erst einmal hinterm Berg zu halten.
Zurückhaltender Autor
Und so hat der TAB-Forscher auch auf die Frage, ob privat finanzierte Start-ups die Entwicklung von Fusionskraftwerken schneller als öffentlich geförderte Projekte umsetzen könnten, zwar eine eindeutige, aber wiederum verbrämte Antwort: „Start-ups versprechen häufig, in 8 bis 10 Jahren Fusionsstrom ins Netz einspeisen zu können. Zentrale technische Herausforderungen werden dabei allerdings oft ausgeblendet.“ Im Klartext: Die Start-ups kündigen viel an, um (ebenfalls schnell und viel) Fördergelder zu bekommen. Sie lassen aber bewusst Problemfragen aus.
Dafür hat erst vor wenigen Tagen ein Münchner Unternehmen dieser Kategorie ein gutes Beispiel per Presseinfo geliefert. Zitat: >>“KI-optimierte Stellaratoren als Schlüssel zur kommerziellen Fusionsenergie: Stellaratoren stellen den deutlichsten und robustesten Weg hin zur kommerziell nutzbaren Fusionsenergie dar. Sie können eine stabile und kontinuierliche Energiegewinnung ermöglichen, sind aber aufgrund ihrer 3D-Geometrien kompliziert in der Entwicklung“, sagte Dr. Francesco Sciortino, Mitbegründer und CEO von Proxima.<< Offensichtlich aber ziehen solche unverständlichen und wissenschaftlich klingenden Sätze bei Ministerien mit Fördergeldern im Budget: Das von Proxima „AI for Fusion Engineering“ genannte „Programm soll Design von Stellarator-Fusionskraftwerken mithilfe von KI vorantreiben. Kosten für Fusionskraftwerke sollen gesenkt und deren Zuverlässigkeit verbessert werden, um sie bis Mitte 2030 marktreif zu machen.“ 6,5 Millionen Euro Fördergeld gab es dafür nun vom Bundesforschungsministerium BMBF.
MIT-Absonderung als Marktschreier
Noch schneller als hiesige Firmen wollen natürlich wieder mal die Amis sein. Ich zitiere eine von der Vermarktungsagentur Pressetext verbreitete Presseinfo: „Forscher des MIT-Spin-offs Commonwealth Fusion Systems (CFS) nutzen Hochleistungsmagnete, deren elektrische Leiter aus Hochtemperatur-Supraleitern bestehen, zur Kühlung und um 2027 CO2-frei Strom durch die Verschmelzung von Wasserstoffisotopen zu erzeugen. … CFS baut mit SPARC in Devens im Bundesstaat Massachusetts bereits den Prototyp eines solchen Reaktors, der eine Leistung von 140 Megawatt haben wird und 2026 in Betrieb gehen soll. Die volle Leistung soll er 2027 erreichen.“ Bis dato sind auf der Webseite der Firma aber nur mehr schlecht als recht gemachte Zeichnungen zu sehen.
Ich hege aber in beiden genannten Fällen mehr als Zweifel. Denn solche Ankündigungen gibt es seit Jahrzehnten, immer wieder mit besagten „in fünf bis zehn Jahren“ als Perspektive. Fünf oder zehn Jahre später folgte dieselbe Zeitperspektive. Denn es fehlt eigentlich immer noch an allen Ecken und Enden, besonders bei Rohmaterialien. Bestes Beispiel: Tritium, also dreiwertiger Wasserstoff. Der ist als Basis für die Fusion unerlässlich. Doch Tritium sei nur in solch geringen Mengen verfügbar, dass er gerade einmal „für den Betrieb von ITER reicht. Aber bereits für DEMO ist dies mit Stand von heute nicht gewiss. Und für zusätzliche Anlagen, die Tritium verbrauchen, steht sehr wahrscheinlich kein Tritium zur Verfügung“, schreibt Grünwald in der kürzlich veröffentlichten Studie „TA Kompakt Nr. 1“, datiert auf Dezember 2024.
Kriegsindustrie als treibende Kraft?
Zudem: Für Tritium gibt es noch einen mindestens genauso wichtigen Abnehmer: die Militärindustrie. Ob Potentatenstaaten oder USA, China, Russland (falls man die nicht auch als solche bezeichnen will), Frankreich: „Tritium ist als Sprengkraftverstärker ein Bestandteil fortgeschrittener Kernwaffendesigns. Um zuverlässig zu verhindern, dass militärisch relevante Mengen Tritium aus Fusionskraftwerken abgezweigt werden, ist ein äußerst hoher apparativer und administrativer Aufwand erforderlich“, stellt die TAB-Studie fest. Forscher Grünwald nennt sogar Mengen: „In einem typischen Sprengkopf finden Mengen von wenigen Gramm Verwendung (< 20 g). Die Menge an Tritium, die allein beim Betrieb eines einzelnen Fusionskraftwerks umgesetzt wird, übersteigt die existierenden Tritiumvorräte der Atommächte mutmaßlich um mindestens einen Faktor 10. Da die Produktion von Tritium zu militärischen Zwecken zumindest in den USA in der Vergangenheit einige Probleme bereitet hatte (GAO 2010), kämen Fusionskraftwerke als Option hierfür ggf. infrage. Dass Fusionskraftwerke u. a. für das Startinventar neuer Kraftwerke einen Tritiumüberschuss produzieren müssten, würde eine Abzweigung für ein militärisches Programm erleichtern.“ Könnte hier vielleicht der Hauptgrund für die von offizieller Seite als „nichtmilitärisch“ deklarierten Fusionsforschungen liegen?
Auch wenn es vielleicht zu vermuten wäre: Für seine Arbeit hat sich Grünwald beileibe nicht nur mit Kern- und Fusions-Kritiker:innen unterhalten. Zwischen November 2023 und Februar 2024 hat er immerhin elf ausgewiesene Fachleute interviewt. Zwei davon seien hier explizit als Beispiele genannt: Klaus Hesch, Programmsprecher und „Head of EUROfusion Research Unit“ am Karlsruher Institut für Technologie KIT, sowie Prof. Thomas Klinger, „Leiter des Bereichs Stellarator-Dynamik und -Transport“ am Institut IPP der Max-Planck-Gesellschaft.
Populisten ignorieren gerne Fakten
Ach ja: Unter „Ausblick und TA-Bedarf“ ist zu lesen: „Am Ende wird die entscheidende Frage sein, ob Fusionskraftwerke insgesamt gesehen einen gesellschaftlichen Nutzen versprechen.“ Die hat TAB-Forscher Reinhard Grünwald aber schon in vielen Details auf den Seiten zuvor ziemlich eindeutig beantwortet. Dabei hat er meist vorsichtigere Worte gewählt, als der Autor dieses Beitrags. Für mich nämlich ist die Antwort ein ganz klares „Nein!“ Und deshalb hoffe ich, dass die (künftig verantwortliche Bundes-)Politik sich traut, wenigstens diesem Grünwald-Ratschlag zu folgen: “Zur Vermeidung von späteren Akzeptanz- und Vertrauenskrisen ist ein frühzeitiger intensiver und ergebnisoffener Dialog zwischen Wissenschaft, Interessengruppen und der Öffentlichkeit erforderlich.“ Und hoffentlich behält der Forscher recht, wenn er „die Voraussetzungen für einen konstruktiven Dialog gegenwärtig deutlich günstiger als noch vor einigen Jahren“ einschätzt. Denn ich wiederum erkenne zurzeit eher gegenläufige Tendenzen bei Politiker:innen aller Couleur: Viele ignorieren Fakten, weil diese sich nicht populistisch ausschlachten lassen. Und da ist es dann auch völlig egal, wie viel teurer Fusionsstrom womöglich im Vergleich zu Sonnen- oder Windenergie wäre.