
Eine Einordnung von Heinz Wraneschitz
Es waren zwei Knaller im wortwörtlichen Sinn: Aus jeglicher Perspektive, in allen großen (und vielen kleinen) Medien wurde über die Sprengung der beiden, je 143 Meter hohen Kühltürme am früheren Atomkraftwerk (AKW) Grafenrheinfeld bei Schweinfurt in Unterfranken berichtet. Ja, wenn es staubt und kracht, da wollen alle dabei sein.
Das war übrigens vier Jahre vorher beim Baden-Württemberger AKW Philippsburg 2 nicht anders gewesen: Der dortige Umweltminister Franz Untersteller hatte die Zerstörung der Betonriesen gar als „bildgewaltiges Symbol für den Atomausstieg und die Energiewende“ bezeichnet. Doch mit der damals für 2024 hoch und heilig versprochenen Konverterfertigstellung für die HGÜ-Trasse „Ultranet“ wird es wohl frühestens in zwei Jahren etwas werden…
Auch bei Grafenrheinfeld hatten die Ex-AKW-Betreiber die Sprengung wieder als Event aufgezogen. Das werde eine „30-Sekunden-Party“, hatte Preußenelektra-Bauingenieur Matthias Aron versprochen. Die Party ging dann etwas verspätet los, weil ein augenscheinlicher Atomfan auf einen nahen Strommast geklettert war: Er wollte wohl das (oder den) Event sprengen, die Betonhüllen aber schonen.
Wenn auch verzögert, konnte eine Thüringer Sprengmeisterin den Zusammenbruch der bislang weithin sichtbaren Zeichen des letzten nordbayerischen Kernkraftwerks am Freitagabend, 16. August doch noch per Knopfdruck einleiten – und die beiden Türme krachten mit viel Staubaufwirbeln zu Boden. Übrigens hatte es schon vor dem eigentlichen Fanfaren-Sprengsignal einen lauten Knall gegeben. Denn offensichtlich hatten sich seit der Stilllegung im Juni 2015 Vögel dort eingenistet. So konnten wenigstens die Tiere sich vor der darauffolgenden massiven Dreck-Wolke aus dem Staub machen.
Nicht mehr sichtbar – aber vorhanden
Doch die Turmsprengung ist nur ein „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Und das wird sicher bei jenen AKW genauso publikumswirksam durchgezogen werden, deren Abschaltungen später als in Grafenrheinfeld erfolgten. Das AKW bei Schweinfurt war das erste so genannte Vor-Konvoi-Kraftwerk. Es wurde einige Jahre weniger betrieben als die anderen drei Vor-Konvoier, hatte aber eine höhere Netto-Stromerzeugung bis zur Abschaltung als jedes einzelne der drei anderen.
In der Region rund um das AKW waren die Meinungen dazu gespalten: In der Gemeinde Grafenrheinfeld selber standen die meisten hinter dem Kraftwerk. Das war zum Beispiel bei einer Protestaktion von etwa 1000 Atomgegnern durch die Standort-Gemeinde im Mai 2003 zu erleben. Weil der Protestzug „teilweise von Anwohnern flankiert wurde, lief er insgesamt friedlich ab und machte nur geringen polizeilichen Einsatz notwendig“, wurde damals berichtet. Die Zustimmung in der 3.500-Einwohner-Gemeinde ist natürlich auch nachvollziehbar: Das AKW war über die Betriebsjahre ein sehr verlässlicher Gewerbesteuerzahler. Doch auch nach der Sprengung wird wohl weiterhin Geld in den Gemeindesäckel fließen. Denn für Rückbau und Abbruch sind voraussichtlich 1,2 Milliarden Euro notwendig. Davon profitieren sicherlich auch die heimische Wirtschaft – und die Kommune.
Anders die nahen Städte Schweinfurt und Würzburg sowie die Gemeinden Sennfeld, Gochsheim und Bergrheinfeld. Die standen ziemlich kritisch zum AKW-Betrieb. So forderten all diese Kommunen bereits 2010 in Resolutionen die Abschaltung des Atomkraftwerks. Man beachte: das passierte vor dem endgültigen Ausstiegsbeschluss der Merkel-geführten Bundesregierung. Der folgte bekanntlich auf den Atom-GAU von Fukushima im Jahre 2011.
Viele Atomvorfälle – meist unkritisch
In der Zeit zwischen Inbetriebnahme und Abschaltung gab es im AKW Grafenrheinfeld weit über 200 meldepflichtige Vorfälle. Auch wenn es nur zwei wirklich sicherheitsrelevante nach Stufe 1 der siebenstufigen internationalen Skala waren nur zwei. Diese ereigneten sich kurz nacheinander im Juni und Juli 2000. Zunächst wurden bei der jährlichen Revision Mängel an fünf von acht gerade mal ein Jahr zuvor eingebauten Steuerventilen festgestellt. Kurz darauf beschädigte ein Brand den Motor einer Hauptkühlmittelpumpe in unmittelbarer Nähe des Reaktordruckgefäßes.
Doch noch in diesem Sommer brannte eine mobile Luftfilteranlage im Reaktorgebäude des ehemaligen Atomkraftwerks. Den bekam die Werksfeuerwehr aber schnell wieder unter Kontrolle, wurde berichtet.
Und was passiert jetzt?
Nach der Kühlturm-Sprengung wird – wie schon seit 2018 betrieben, drei Jahre nach dem Ende der Stromerzeugung – der Rückbau des gesamten AKW weiter andauern; Ende ungewiss. Genauso ungewiss ist, wie lange der Gemeinde Grafenrheinfeld noch die strahlenden Reste der zwischen 1981 und 2015 dauernden, sogenannten „zivilen Nutzung der Kernkraft“ erhalten bleiben werden: Die hoch- und mittel-radioaktiven Stoffe in den beiden Zwischenlager-Gebäuden, deren Gelände direkt an den AKW-Standort grenzt. Ob es mit dem Endlager noch in diesem Jahrhundert etwas wird, steht momentan ja in den Sternen.
Das ist im Übrigen bei all den anderen AKW-Ruinen in Deutschland nicht anders: An jedem dieser Standorte betreibt die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) solche Aufbewahrungsorte für Castoren mit den „wärmeerzeugenden“ Atommüll. Dazu kommen Zwischenlager für schwach- und mittelradioaktive Stoffe, die bekanntlich irgendwann im Schacht Konrad bei Salzgitter endgelagert werden sollen. Betriebsbeginn soll laut der Bundesbehörde BASE tatsächlich schon 2027 sein; warten wir mal ab. Denn die Proteste vor Ort ebben nicht ab.
Und dann gibt es natürlich noch jene alte Turbine, die als eine Art Denkmal neben dem einstigen, lange verlassenen Infozentrum des AKW Grafenrheinfeld aufgestellt ist. Immerhin: Die strahlt nicht.