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Heinz Wraneschitz

Der Kopf und das Klima

One Health Ansatz: „Die Klimakrise macht nicht nur Körper, sondern auch Seelen krank.“ [Grafik: BMZ]

Ein Feature von Heinz Wraneschitz

Treffen sich zwei Planeten. Sagt der eine traurig: „Mir geht’s schlecht, ich habe einen Virus: Homo sapiens.“ Antwortet der zweite: „Das geht bald vorbei.“

Womöglich würden vor allem die Pflanzen und Tiere an Land und im Meer froh sein, wenn der Virus Mensch so bald wie möglich wieder vom Planeten Erde verschwinden würde: Dann könnte sich die Natur wahrscheinlich recht schnell wieder regenerieren. Schnell zumindest in erdgeschichtlichen Zeiträumen gemessen. Denn was wir Menschen in den letzten weniger als zwei Jahrhunderten mit unserem Planeten angestellt haben, das geht eigentlich auf keine Kuhhaut. Aber in den mehreren Milliarden Jahren seit Entstehung unseres Planeten und des dazugehörigen Sonnensystems sind sowohl der menschgemachte Klimawandel wie die wenigen 10.000 Jahre menschlichen Lebens nur der berühmte Vogelschiss (auch wenn der von einer extrem rechten Partei vor einiger Zeit in einen anderen Zusammenhang gerückt wurde).

Apropos extrem: Vielleicht haben die jüngsten Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen auch damit zu tun, dass die Wähler:innen der rechten und pseudolinken Wahlsiegerparteien psychisch belastet sind. Und zwar von der „ökologischen Krise“, wie die schon stark bemerkbare Klimakatastrophe von Seiten des in Berlin ansässigen Deutsches Zentrums für Psychische Gesundheit (DZPG) genannt wird. „Egal, wohin der Mensch blickt: Er sieht die Zerstörung von Lebensräumen, die in der Vergangenheit unbeschwerte Naturerlebnisse bieten konnten. Das erschwert Entspannung und belastet die Seele“, erklärt DZPG-Sprecher Prof. Andreas Heinz, im Hauptberuf Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité.

Genau diese „Angst vor der Erderwärmung … kann autoritäres Denken fördern“; das hatte schon vor drei Jahren der Leipziger Sozialpsychologie Prof. Immo Fritsche im Interview mit der Fachzeitschrift „Spektrum“ beschrieben. Auch diese Entwicklung zu stoppen, dazu könnte der One-Health-Ansatz der Weltgesundheitsorganisation WHO beitragen. Der ist nach Einordnung der WHO „eine interdisziplinäre, holistische Herangehensweise, die auf lokaler, regionaler, nationaler und globaler Ebene arbeitet, um die menschliche Gesundheit ganzheitlich unter Einbeziehung der Tiergesundheit und einer gesunden Umwelt zu schützen“. Wohlgemerkt: Die WHO hat die körperliche Gesundheit im Blick.

Klimawandel macht Körper und Seele krank
Doch der Zusammenhang zwischen Klimakatastrophe und dessen gesundheitlichen Auswirkungen aufs menschliche Gemüt ist augenscheinlich noch viel weniger bewusst. Im Ärzteblatt hat deshalb vor gut einem Jahr eine Reihe Psycholog:innen und andere mit der menschlichen Psyche befasste Wissenschaftler:innen einen Artikel veröffentlicht, der grundsätzlich schlussfolgert: „Die Folgen des Klimawandels stellen psychische Belastungsfaktoren dar. Mit fortschreitender Erderwärmung ist daher auch mit steigender Inzidenz und Prävalenz von psychischen Erkrankungen zu rechnen. Vulnerable Gruppen wie psychisch Erkrankte, Kinder und Jugendliche müssen geschützt werden. Gleichzeitig besteht Bedarf an weiterer systematischer Forschung zu den Wirkmechanismen und Auswirkungen des Klimawandels auf die Psyche.“ Als Grundlage für den Beitrag diente das ebenfalls 2023 veröffentlichte Positionspapier „Klimawandel und psychische Gesundheit“ der DGPPN, der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Daran hat auch DZGP-Mann Andreas Heinz mitgearbeitet. Unter dem Absatz „Handlungsempfehlungen für eine klimaneutrale Psychiatrie“ ist dort zu lesen: „Angesichts häufigerer psychischer Erkrankungen und neuer Belastungen durch den Klimawandel … wird insbesondere im Bereich der Traumafolgestörungen, Angsterkrankungen und Depressionen der Behandlungsbedarf weiter steigen. … Die Psychiatrie muss sich auf Versorgungskonzepte einstellen, die nachhaltig sind und dem steigenden und sich verändernden Bedarf gerecht werden.

Trotz fehlender Behandlungsmöglichkeiten geht die Forschung weiter
Doch auch wenn die Politik bislang kaum reagiert hat, damit mehr psychotherapeutische Behandlungen möglich werden, macht sich das DZPG schon den nächsten wissenschaftlichen Schritt: Sie will „die Interaktion zwischen Umwelt und psychischer Gesundheit besser erforschen und auf der Basis neue Behandlungs- und Präventionsansätze entwickeln“. Im so genannten „One Mental Health Hub“ wollen die Wissenschaftler:innen ab 2025 nicht mehr nur den von der WHO verfolgten Zusammenhang zwischen Klimakatastrophe und menschlich-körperlicher Gesundheit betrachten: „Das DZPG erweitert dieses Konzept auf die psychische Gesundheit und wird hier die Interaktion mit der Umwelt besser erforschen und auf dieser Basis neue Behandlungs- und Präventionsansätze entwickeln.“ Denn „ohne Prävention und wirksame Tools gegen die psychischen Folgen der Umweltzerstörung drohen nicht zuletzt erhebliche wirtschaftliche Schäden durch psychische Erkrankungen“, so das DZGP weiter.

Unklar bleibt, wie die Forschenden in ihren Untersuchungen erfahren, wie die Tiere und Pflanzen ihre Einschätzungen zu den Klimaschäden-verursachenden Menschen einbringen können. Aber vielleicht bekommen die Wissenschaftler:innen heraus, ob und welchen Zusammenhang es zwischen den ohnehin schon erkennbaren wirtschaftlichen Schäden in den östlichen Bundesländern und womöglich durch Klimaschäden ausgelöste psychische Erkrankungen der dort überschüssig wohnenden jüngeren Männer gibt.

Doch trotz aller, aktuell bei fast allen politischen Parteien und vielen Medien erkennbaren, Ausländerhetze hierzulande: Die Wissenschaftler:innen bei DZGP wie DGPPN erwarten „eine klimabedingte Zunahme von Migration. Die erfordert zudem kultursensible Angebote“, um wenigstens die fluchtbedingten seelischen Erkrankungen der Migrant:innen zu bekämpfen. Dass wir Menschen in den reichen Industrienationen maßgeblich für diese Fluchten sorgen, indem wir weiterhin den Klimakrise fossil befeuern, das steht ohnehin fest. Doch auch das wollen viele hierzulande augenscheinlich nicht wahrhaben: Flüchten sie sich (auch) deshalb in seelische Erkrankungen?