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Heinz Wraneschitz

Der H2-Hype und die dunkle Seite der Macht

Als Spielzeug taugt der H2-Motor. Foto: Heinz Wraneschitz bildtext.de

Eine dialektische Wahrnehmung von Heinz Wraneschitz

Dieser Hype ist schlichtweg unübersehbar: Wasserstoff und E-Fuels sind doch genauso wunderbar wie die Kernfusion, oder? Fast egal, welches Medium man nutzt – von Instagram bis X, von ARD bis Vox, von Aachener Rundschau bis Neue Zürcher Zeitung: Überall wird darüber gejubelt; überall wird das Gefühl vermittelt, diese Energietechniken lösen die Klimakrise, beenden das Aufheizen der Erdatmosphäre ganz von alleine, sofort. Und das, ohne dass wir unser Verbrauchs- und Lebensverhalten ändern müssen.

Hier nur ein paar Jubel-Beispiele der vergangenen Tage. „Dieses E-Auto spart CO2 dank Verbrenner“, schreibt die als PS-Unterstützerin bekannte Auto-Motor-Sport eine Presseinfo der bisher kaum bekannten österreichischen Firma Obrist vom 13. Mai 2024 ziemlich konsequent ab. Sprich: Verbrenner sind die besseren E-Autos. Das hatte dieselbe Zeitschrift zwar vier Jahre zuvor in fast identischem Ton schon einmal veröffentlicht – aber sei`s drum. Dass das Handelsblatt und andere Fossil- und Autowirtschafts-Freakzeitungen diesmal nicht so schnell auf den Obrist-Jubel-Zug aufspringen wie damals, ist schon fast verwunderlich.

Wasserstoff (H2) – auch so ein Versuch, Fossilien und deren Verkaufsfirmen am Leben zu erhalten. Beispiel Thyssengas (TG): Das große Erdgashaus aus Dortmund „plant, zwischen Vlieghuis (Niederlande) und Ochtrup (Nordrhein-Westfalen) durch die Umrüstung eines Erdgastransport-Systems bis 2027 die erste grenzüberschreitende Wasserstoff-Verbindung zwischen den beiden Ländern zu realisieren. Entsprechend groß war das Medieninteresse“. Das steht genau so in einer TG-Presseerklärung vom 15. Mai 2024. Und nahezu 1:1 haben es offiziell „Qualitätsmedien“ genannte Anbieter übernommen, beispielsweise Braunschweiger ZeitungSaarbrücker Zeitung oder Wallstreet Online. Einziger qualitäts-redaktioneller Anteil: ein verschämtes, kaum sichtbares Wörtchen „Anzeige“ wurde eingefügt. Suggerieren will TG damit wohl: Leute, kauft Gasheizungen statt Wärmepumpen, wir versorgen euch weiter.

Dritter Versuch der Altenergien, die heute verfügbaren Erneuerbaren Energien mit ihrem Zentralkraftwerks-Wahn auszubremsen: Kernfusion. „Neuer Rekord in der Fusionsforschung: Südkoreanischer KSTAR erreicht Meilenstein“, jubilierte Heise Online vor gut einem Monat. Der Rekord? „Es gelang, den High Confinement Mode (H-Mode), bei dem sich das Plasma in einem stabilen Zustand befindet, für mehr als 100 Sekunden zu erhalten.“ PS: Das Jahr hat normalerweise 31.536.000 Sekunden. Weshalb auch viele vermuteten, der Heise-Artikel vom 1. April sei als Aprilscherz gedacht gewesen – war er aber nicht.

Politik und Lobby Seit` an Seit`
Passend dazu gibt es eine ganze Reihe Politiker:innen in diesem unserem Lande, die diesen Hype noch massiv befeuern. Allen voran: der mutmaßliche AfD-Kopierer Hubert „Hubsi“ Aiwanger. „Bayern ist der Motor für die Fusionsforschung in Deutschland und Europa“, ließ der Freiwähler-Weltchef am 1. Mai dieses Jahres wissen. Und Bayerns CSU-Wissenschaftsminister Markus Blume setzte noch einen drauf: „Kernfusion hat das Potential, die Welt zu verändern und grundlastfähig Energie zu liefern.“ Jetzt sollte sich eigentlich sogar in die heil-weißblaue CSU-Welt herumgesprochen haben, dass nicht Grundlast, sondern Spitzenlast die gesuchte Stromform der Zukunft ist. Aber offensichtlich nicht bis ins dafür zuständige Wissenschaftsmysterium.

Bei Kernfusion will sich augenscheinlich auch Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger nicht lumpen lassen. „Wir wollen den Weg zum ersten Fusionskraftwerk in Deutschland ebnen“, erklärte die FDP-Politikerin Mitte März. Wie genau? „Um den Bau eines Fusionskraftwerks möglichst schnell zu erreichen, ist das Programm im Kern auf anwendungsorientierte Verbundforschung als eine Form einer Public-Private-Partnership (PPP) angelegt.“ Von den dafür notwendigen wohl zig Milliarden Steuergeld – keine Rede in Stark-Watzingers „Programm zur Förderung der Fusionsforschung Fusion 2040“. Aber halt: 2040, da war doch was: Fünf Jahre später soll Deutschland klimaneutral sein, hat die Bundesregierung beschlossen. Mit einem einzigen Fusionskraftwerk, das seit gefühlten 100 Jahren immer und immer wieder versprochen wird?

Warten auf die Heilsbringer
Wer bis hierher dabeigeblieben ist, dürfte das Gefühl bekommen haben: viele Medien, Forschende und Politik hierzulande glauben wirklich, ein „weiter so wie bisher“ der Bürger:innen mit Verbrennerautos, Öl- und Gasheizungen und offenen Fenstern bei zu warmen Zimmern im Winter sei möglich. Denn die Heilsbringer Wasserstoff, E-Fuel-Autos und Fusionskraftwerke klopfen ja schon an der Tür und lösen schwuppdiwupp alle Klimaprobleme ohne unser persönliches Zutun. Das ist zwar weit entfernt von jeglicher Vernunft, aber natürlich einfacher, als den Menschen reinen Klimawein einzuschenken.

Nur wenige scheinen noch den Mut aufzubringen, trotz aller populistischen Anfeindungen und KI-generierter Meinungsmache in den asozialen Medien die Wahrheit zu sagen. Hans-Josef Fell ist einer davon: „Populisten sowie Rechts- und Linksaußen treiben Hausbesitzer zu hohen Heizkosten“, warnt er per Blog auf seiner Webseite. Der Mit-Autor des Erneuerbare-Energien-Gesetzes EEG von 2000 sitzt zwar nicht mehr für Die Grünen im Bundestag, kämpft aber unvermindert für die Energiewende. Und er nennt realistische Alternativen zu Alt-Öl, -Gas und -Atom: Fluss-Wärmepumpen, Geothermie im Großen, Photovoltaik im Kleinen beispielsweise. Aber dass sich die Bundesregierung traut, wie von ihm empfohlen „die Gasnetze sozialverträglich abzuschalten“ – das glaubt wahrscheinlich nicht einmal er selbst.

Auch die unermüdlich dezentral-energetische Volkswirtschaftsprofessorin Claudia Kemfert traut sich weiterhin, gegenüber den lieber Mainstream-veröffentlichenden Medien ihre Frau zu stehen. „Manche träumen von der Wasserstoff-(H2-)Welt mit Import. Doch aktuell gibt’s keine Anlagen, nirgendwo. Das ist sehr weite Zukunftsmusik.“ Mit Blick auf den so genannten „Ampel-Monitor“ erklärte sie: „Wir stehen bei H2 ganz am Anfang, liegen aktuell bei 0,08 Prozent von dem, was wir bis 2030 erreichen wollen.“ Denn wenn überhaupt H2, „dann wirklich nur grünen emissionsfreien, der Nachhaltigkeitskriterien erfüllt. Und nur in Nebenrollen wie bei Industrie, Schiffs- oder Flugverkehr.“ Sie belegte ihre Thesen am Dienstag dieser Woche mit klaren Fakten in der „5vor12“-Reihe des Netzwerk Klimajournalismus.

So sei der H2-Import – wenn überhaupt – „ein Zukunftsszenario. Denn wir haben keine Terminals. Wir brauchen Schiffe – da gibt es weltweit nur eines. Der Bau würde jeweils viele Jahre dauern.“ Und auch in den als Lieferanten geplanten Ländern gebe es weder Erzeugungsanlagen noch Terminals. Das hierzulande zu lesende „H2-ready“ bei Kraftwerken wie Heizungen „ist eine Wette auf die Zukunft“. Stattdessen plädierte sie vehement für das Beachten der Umwandlungs-Effizienz, gerade in der Mobilität: „E-Fuels haben Umwandlungsverluste zwischen 80 und 90 Prozent – E-Fahrzeuge nutzen den Erneuerbaren Strom dagegen zu über 80 Prozent. Die Elektrifizierung ist einfach die wirtschaftlichste Art.“ Und statt Gasnetze teuer in H2-Netze umzuwandeln – „in Berlin lässt sich das beispielsweise gar nicht darstellen“ – empfahl sie „Power to Heat für Großstädte, und natürlich energetische Sanierung mit Wärmeplanung. Das sind viel bessere Lösungen.“

Warum wird der Lobby geglaubt?
Aber selbst die Wissenschaftlerin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW ist „erstaunt über die Wahrnehmung“, H2 könne das heute genutzte Erdgas einfach ersetzen. Sie gab sich sicher: „Der Wunsch, der Druck aus der Gaslobby ist groß“ und wird dementsprechend gut vermarktet. Schuld seien aber auch die Medien, die (wie oben gezeigt) gut gemachte PR einfach übernehmen: „Man wünscht sich, es würde mehr hinterfragt. Wir bräuchten einen Berichterstattungs-Hype über transparente Energiewende, Verteilnetze und mehr. Mit den Themen beschäftigt, die die Wirtschaftslobby nicht ganz so forciert“, forderte Claudia Kemfert von (uns) Journalist:innen. Ihr Fazit: „Die Fördermilliarden in H2 und mehr sind als Nebenrolle wichtig. Aber die Hauptrolle spielt der Ausbau der Erneuerbaren Energien.“ Die Ampel tue dafür sehr viel.

Völlig andere Ideen von Energiewende und Klimakatastrophe hat dagegen der immer fröhliche Ex-Blackrock-Manager Friedrich „Fritze“ Merz. Seine Partei plane „das Gegenteil von dem, was die Ampel versucht durchzusetzen“, verlautete er vor wenigen Tagen auf dem Parteitag der CDU. Und: Deutschland sei auf der Welt mittlerweile „der klimapolitische Geisterfahrer“. Sprich: „Rückwärts immer – vorwärts nimmer“ will die CDU, also eine Wende weg von Ökoenergie, natürlicher Landwirtschaft. Und mehr fossile Emissionen. Fritze Merz, mir graut vor Dir.