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Götz Warnke

Aktuelle Energiekosten – eine zu hohe Belastung der Industrie?

„Hochwertige“ Glasflaschen, doppelt so schwer und Energie verschwendend – wollen wir das wirklich? [Foto: Götz Warnke]

Ein Bericht von Götz Warnke

Die Klagen über eine Deindustrialisierung Deutschlands sind seit über einem Jahr ein Dauerbrenner in den Medien, insbesondere in der wirtschaftsnahen Presse. Und auch der Chor der „schwer belasteten“ Industrie-Manager:innen hat derzeit offensichtlich nur zwei Lieder im Repertoire: das von der überbordenden Bürokratie und das von den zu hohen Energiepreisen. Mit diesen Melodien werden andere Stücke lautstark übertönt, die auch zum Gesamtkonzert dazu gehören, und an denen von Seiten der deutschen Politik auch gar nichts zu ändern ist: die internationale Wirtschaftsschwäche im allgemeinen und die Wirtschaftskrise in China im besonderen; die Belastungen durch den Krieg in der Ukraine; die Unsicherheit hinsichtlich der Entscheidungen des neuen US-Präsidenten etc.

Doch auch hinsichtlich bisheriger Intonationen gibt es deutliche Veränderungen bei den Vorlieben des Managements, wie der Tagesspiegel über eine Umfrage der Stiftung Familienunternehmen unter 900 Firmenvertreter:innen berichtet. Denn auf die Frage, welche Probleme die neue Bundesregierung zuerst in Angriff nehmen solle, antworteten nur vier bzw. fünf Prozent mit den Themen Nachhaltigkeit und Fachkräftemangel! An der Spitze hingegen landeten mit 39 Prozent die Bürokratie und mit 30 Prozent die Energiepreise.

Angesichts dieser Tendenz war es längst überfällig zu untersuchen, wie hoch die Belastungen real sind; denn das Jammern könnte seine Ursache darin haben, dass man sich ohne Not einen finanziellen Mehrwert davon verspricht. Diese Untersuchung hat das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, eine überparteiliche und unabhängige deutsche Denkfabrik, Ende vergangenen Jahres unternommen und das Ergebnis in einer elfseitigen Studie mit dem Titel „Energiekosten: Wie hoch ist die Belastung der Industrie?“ vorgelegt.

Die Beschränkung auf die Industrie ist hier insofern sachgerecht, als dass der Handel und der Dienstleistungssektor naturgemäß weniger stark von der Entwicklung der Energiekosten betroffen sind. Als Grundlage zur Berechnung der Belastungen verwenden die Studienautoren die Energiestückkosten, eine anerkannte Methode, die sich aus den Energiekosten und der Bruttowertschöpfung errechnet, also dem im Produktionsprozess erzeugten Mehrwert – ohne Berücksichtigung der Vorleistungen und der im Nachgang zu zahlenden Steuern.

Dabei wird klar: alle verarbeitenden Gewerbe konnten zwischen 2008 und 2020 ihre Energiestückkosten deutlich senken, ganz gleich, ob sie wenig Energie verbrauchten wie bei der Lederherstellung und -verarbeitung, oder ob sie zu den Energieintensiven Industrien gehören. Mehr noch: Letztere konnten ihre Energiestückkosten oft sehr deutlich senken, teilweise halbieren, im Falle der Papierindustrie sogar prozentual auf ein Drittel (also um zwei Drittel!) zurückführen.

Zwischen 2020 und 2022 ging es dann wieder über alle Energiebedarfskategorien (gering, mittel, hoch) hinsichtlich der Energiestückkosten deutlich nach oben, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß: Insbesondere die energieintensiven Industrien waren davon stärker betroffen, bei der Metallindustrie, der Papierindustrie sowie der chemischen Industrie wurde sogar das Energiestückkostenniveau von 2008 überschritten.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich das verarbeitende Gewerbe bei seinem Energieverbrauch vorwiegend auf zwei Energieträger stützt: Strom und Gas. Insofern ist es sinnvoll, für den Zeitraum 2018 bis 2020 die Energiestückkosten hinsichtlich Strom und Gas getrennt zu betrachten, und zwar auch für die verschiedenen Wirtschaftszweige. Hier zeigt sich ebenfalls: Bei den geringen und mittleren Energieverbrauchern ist es weder bei den strom- noch bei den gasinduzierten Energiestückkosten zu größeren Veränderungen gekommen. Dagegen hatten die energieintensiven Wirtschaftszweige deutlich höhere Energiestückkosten zu verkraften, und zwar sowohl hinsichtlich des Gases als auch – noch mehr – wegen des Stroms.

Erstaunlicher ist, dass trotz staatlicher Steuerungseingriffe die Energiepreise noch deutlich stärker gestiegen sind als die Energiestückkosten. Dies führen die Studienautoren auf eine gesteigerte Energieeffizienz zurück, die sich gut anhand des Indikators Energieintensität aufzeigen lässt: Der bildet den Energieverbrauch pro Einheit Bruttowertschöpfung ab. Sinkt die Energieintensität, wird also weniger Energie pro Einheit Wertschöpfung benötigt. Und genau das lässt sich an den Entwicklungskurven für den Zeitraum 2018-2022 ablesen. Über alle Wirtschaftszweige hinweg ist die Energieeffizienz deutlich gestiegen, am stärksten bei den energieintensiven Industrien.

Als Lösung für die klagende Wirtschaft schlagen die Autoren der Studie vor, dass insbesondere die energieintensiven Industrien in der kommenden Reinvestitionsphase „die Weichen für die Klimaneutralität“ stellen, zumal die Unternehmen auch in Konkurrenz zu internationalen Wettbewerbern mit günstigeren Energiepreisen stünden. Dagegen seien die oft geforderten pauschalen Entlastungsmaßnahmen nicht sinnvoll; eine Investitionsförderung für den Einsatz von klimafreundlichen Technologien sei vorzuziehen. Zudem sei die Fokussierung auf Energieeffizienzpotenziale wichtig, da nach anderen Studien „die deutsche Industrie bis zu 44 % ihres Endenergiebedarfs durch wirtschaftlich rentable Energieeffizienz-Technologien einsparen könnte“.

Soweit die Autoren. Auch wenn man der vorliegenden Analyse zustimmen kann, so bedarf es doch einer Ergänzung. Denn gerade die energieintensiven Industrien liefern unter hohen Klimagasemissionen die Rohstoffe für eine immer weiter gehende Ressourcenverschwendung in unserer Gesellschaft: Fehlende Glaspfandsysteme, überschwere Glasflaschen, übergroße Verpackungen aus Pappe – um nur einige wenige, kritische Punkte zu nennen. Hier bedarf es einer stärkeren staatlichen Regulierung, die solche Auswüchse abstellt. Dann würden Energieverbrauch und Klimagasemissionen gerade auch in den energieintensiven Industrien automatisch sinken.